Rundbrief 8.10.2023

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Die Schulferien sind auch in der Ukraine zu Ende und eigentlich sollte überall wieder ein geordnetes Leben den Tagesablauf bestimmen. Die Tagesabläufe vieler Kinder und ihrer Eltern in der Ukraine sind aber seit mehr als 18 Monaten von Bomben und Raketen, von Luftschutzalarm und Flucht bestimmt. Sicherheit, Bildung und vieles mehr erscheinen wie ein fast unerreichbar scheinender Luxus. Wir sind Allen überaus dankbar, die nicht wegsehen.

Veranstaltungshinweise
Die Hudaki Village Band kommt zum Abschluss einer intensiven Sommertournee nochmals in die Schweiz:
Fr 15.9. Sentitreff Luzern, 20.00
Sa 16.9. Sternenkeller Rüti ZH, 20.30
So 17.9. Kirche Gelterkinden BL, 18.00

Street-Ballads Ukraine in Zürich am 18., 25. und 28.9. Eine Performance auf Grundlage von Texten von neun ukrainischen Schriftsteller.innen. Sehr empfehlenswert!

Die Tournee des Kammerchores CANTUS vom 22.10 - 5.11. Der Tourneeplan und weiterführende Information sind hier zu finden. Bitte helfen Sie dem Team von NeSTU rund um CANTUS indem Sie den Flyer weiterleiten. Gedruckte Flyer hat unsere Präsidentin und Koordinatorin der Tournee Ursula Stamm: ursula.stamm@gmx.ch

Vom 28.10. - 28.11. in Basel: Ausstellung des Projekts "Vidkrytky", Das Versteck der Erinnerungen, im  Freiwerk Basel Elsässerstrasse 215. Ein Bericht über den Einsatz von Nastya Malkyna und Genia Koroletov in Kramatorsk ist hier zu finden (pdf). Es werden auch die Postkarten ukrainischer Flüchtlingskinder gezeigt, die jetzt in St. Imier NE leben. Die Betreuung dieser Kinder wird von NeSTU mitgetragen. Die Ausstellung wird Anlass für weitere Veranstaltungen und Begegnungen sein, mehr dazu im nächsten Rundbrief. Die Eröffnung findet am 28.10. um 18 Uhr statt, es wird dann auch das ganze Team aus der Ukraine dabei sein. Eine kleine Präsentation des Projekts am Ende dieses Rundbriefs.

Krieg - was wir tun
Weiter dreht sich auch in diesem Rundbrief alles um den Krieg in der Ukraine. Wir sind sehr dankbar für die grosszügigen Spenden, die wir nach dem Versand unseres Flyers im Juli erhalten haben. Wir konzentrieren unsere Kräfte auf die Betreuung von Kindern und Jugendlichen aus den Kriegsgebieten. Wir reagieren aber auch weiterhin unbürokratisch auf Hilfeaufrufe vertrauenswürdiger Partner: Base_UA konnte mit Hilfe von NeSTU im August eine Familie aus Bachmut in die Zentralukraine in ihr neues Zuhause umsiedeln.

Das fast drei Monate andauernde, von NeSTU finanzierte Sommerprogramm unserer Partnerorganisation Shaslyviy Dity (Glückliche Kinder) für geflüchtete Kinder in Uzhhorod ist zu Ende. Auf der Facebook-Seite der Organisation gibt es viele erfreuliche Fotos und Videos davon zu sehen.

Vom 23. September bis zum 5. Oktober kommen wieder 18 Teenager aus den ukrainischen Frontregionen für ein Art-Camp "Horytsvyt" ins Jugendgästehaus SargoRigo in Nyzhne Selyshche. Es ist ein gemeinsames Projekt mit den Leuten von Base_UA. Das Camp wird diesmal beinahe vollständig aus der Kasse von NeSTU finanziert, ein kleiner Beitrag stammt aus Spenden, die die Hudaki Village Band während ihrer Tournee gesammelt hat. Es ist sehr berührend und motivierend, die Rückmeldungen der Kinder und ihrer Eltern nach den Camps zu lesen. Ohne Übertreibung hilft der relativ kurze Aufenthalt in einer friedlichen, freundschaftlichen und aufmerksamen Umgebung den 12 - 15jährigen Jugendlichen ganz ungeheim. Diese Art-Camps wollen wir zumindest alle zwei Monate, nach Möglichkeiten auch im Monatsrythmus durchführen.

Verfasser dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, Longo mai und NeSTU, Nyzhne Selyshche, Ukraine
 

Diesen Flyer (bitte anklicken) haben wir schon in unserem letzten Rundbrief veröffentlicht. Herzlichen Dank für jede Unterstützung und für's Weiterleiten!


Eine neue Heimat für eine junge Familie aus Bachmut

Das sind Maryna, 24, Andrij, 28, und ihre Kinder Nikita, 5 und Maya, 2, vor ihrem neuen Haus in der Oblast Kyiv.
Ein Jahr vor der Katastrophe kauften sie ein Haus in Bachmut und zogen dort ein, zuvor hatten sie noch bei den Eltern gelebt. Im Mai 2022 schlug in der Nähe ihres Hauses eine russische Rakete ein. Maryna und Andrij hatten Angst um ihre Kinder und verliessen das Haus sofort, sie nahmen nur eine Tasche mit. Etwa einen Monat später erfuhren sie von ihren Eltern, dass auch ihr Haus von einer Rakete getroffen worden war. Später schlugen noch mehr Bomben ein und das Haus wurde bis auf die Grundmauern zerstört.
Die Eltern wollten ihr Haus nicht verlassen. Beim Eintreffen der russischen Armee wurden sie von Wagner-Einheiten verschleppt, ihr Verbleib ist ungewiss.
Der Umzug wurde von unseren Partnern von Base_UA organisiert. NeSTU hat den Hauskauf mit 5'000.- Franken kurzfristig ermöglicht. Unterhalb noch ein paar Fotos von der Familie und ein Bild von ihrem zerstörten Haus in Bachmut, nach dem ersten Einschlag.


Die russische Bevölkerung und der Krieg
Das Institut für Konfliktanalyse und -forschung in Russland (IKAR) ist ein unabhängiges Analysezentrum in Kyiv, das die wichtigsten Trends und Prozesse in der russischen Gesellschaft untersucht. Es mag überraschen, dass ein ukrainisches soziologisches Forschungsinstitut mitten im Krieg telefonisch Russen und Russinnen befragt. Andererseits, wer versteht dieses Volk besser als die Ukrainer? Fast alle Ukrainer.innen verstehen Russisch oder es ist sogar ihre Muttersprache, und während Jahrhunderten haben sie im selben Staat gelebt. Die befragten Personen wissen dabei nicht, dass der Anruf aus der Ukraine kommt.

Ich fand die Resultate einer vor kurzem von IKAR veröffentlichten Untersuchung so überraschend und interessant, dass ich sie Euch nicht vorenthalten möchte und hier kurz zusammenfasse:

Der Grossteil der Russen glaubt, dass sie den Krieg genauso überstehen werden, wie sie den Covid überstanden haben. Im Gegensatz zu den Einschätzungen vieler westlicher Experten befürwortet 74% der Befragten einen vollständigen Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet. Gleichzeitig fühlen sie sich nicht für den Terror verantwortlich, den die russische Armee in der Ukraine verübt hat und weiter verübt, und sie sind auch nicht der Meinung, dass Russland Reparationen zahlen sollte. Russland wäre nur für die besetzten Gebiete verantwortlich.
Ebenfalls 74% lehnen eine neue Zwangsrekrutierung von Soldaten ab. Diese wird besonders von der jungen Generation sehr gefürchtet.
Einerseits sagt die Mehrheit, dass die Kriegsziele nicht erreicht wurden. Andererseits sagen sie, dass sie den Sinn des Krieges nicht verstehen können, sie verstehen nicht, warum ihre Angehörigen sterben. Diffus meinen viele im Gespräch, der Krieg werde gegen ukrainische Nazis geführt, wobei die ukrainische Bevölkerung nichts damit zu tun habe. Eine Mehrheit ist der Meinung, dass Russland in der Ukraine in eine Falle der USA getappt sei.

Vor allem der Wunsch nach einem vollständigen Rückzug der russischen Verbände aus der Ukraine steht im Widerspruch zur häufig verbreiteten These, dass ein Rückzug der russischen Armee aus dem Donbas und von der Krim das Ende der Herrschaft Wladimir Putins bedeuten würde. Und ausserdem, wie zum Beispiel der Schweizer Spitzendiplomat Thomas Greminger kürzlich in der NZZ sagte, zu einem gefährlichen Revanchismus in der russischen Bevölkerung führen würde. Nein, was zählt, sind der Fernseher und der Kühlschrank.

Auf die Frage (zitiert aus einem populären Film aus dem Russland der 1990er Jahre), wer Recht habe, meinen mehr als 60%, dass der Stärkere immer Recht hat, Gesetze sind nebensächlich.

Ebenfalls erschreckend: Nur etwa 15% der Befragten sprachen sich kategorisch gegen eine weitere "militärische Sonderoperation" wie in der Ukraine aus, sei sie gegen Kasachstan, einen der baltischen Staaten, Georgien, Polen oder ein anderes Nachbarland. 
NB das Interview mit Thomas Greminger in der NZZ ist im  Text verlinkt, aber der Autor ist mit den Aussagen Gremingers durchaus nicht einverstanden. Ganz allgemein herrscht in der Ukraine die Meinung vor, dass sich die OSZE ohne Gegenwehr von Russland instrumentalisieren lassen hat.
 

Varenyky am Ukraine-Treff in Stans
Kari Grunder, Stans
Am 2. August haben wir am Ukraine-Treff in Stans bereits zum zweiten Mal gemeinsam Varenyky, die beliebten ukrainischen Teigtaschen, zubereitet. Während am Büchertisch Werke auf Ukrainisch und auf Deutsch studiert, ausgeliehen und zurückgegeben wurden, begannen uns aus der Küche anregende Düfte auf das gemeinsame Essen einzustimmen. Als «zweites Dessert» trugen Mykola und Ljubov von Mykola verfasste Gedichte vor (aus: Dschmil, Mykola: Kolo / Джмiль, Микола: Коло).
Auf dem Bild die literarisch-kulinarische Crew mit Arina, Maryna, Natalija, Béatrice, Kari, Mykola, Ljubov, Damir, Sergej (aufgenommen von Severin).
 

Das Versteck der Erinnerungen*
Ausstellung des Projekts "Vidkrytky"
Von Nailya Ibragimova, Nastya Malkina und Genia Koroletov

 
Wir möchten Sie zur Ausstellung des Projekts "Vidkrytky" einladen, das gemeinsam mit Kindern, die vom Krieg Russlands gegen die Ukraine betroffen sind, Postkarten gestaltet.
 
Die Postkarten sind den Lieblingsorten der Kinder in ihren Heimatstädten gewidmet, von denen die meisten aufgrund des Krieges nicht mehr zugänglich sind.
Das Ziel des Projekts ist es jedoch nicht, sich auf das zu konzentrieren, was verloren gegangen ist, sondern ein einzigartiges Archiv von Bildern friedlicher ukrainischer Städte zu schaffen, und einen Raum für Fantasie und Kreativität im Kontext eines militärischen Konflikts zu schaffen.
 
Bei der Konzeption der Ausstellung haben die Künstler und Initiatoren des Projekts versucht, ihre persönlichen Erinnerungen an ihre Kindheit in den Jahren 1900-2000 mit Kindergeschichten zu verbinden. Sie bieten allen Besuchern an, nicht nur die Bedrohung zu spüren, die von der Unachtsamkeit der Kinder ausgeht, sondern auch die universellen Werkzeuge, um sie zu schützen und ihr entgegenzuwirken.
Die Ausstellung bietet auch ausführliche Informationen über das Projekt, eine Sammlung von Kinderpostkarten mit der Möglichkeit, sie zu kaufen und das Projekt zu unterstützen, sowie die Möglichkeit, eine eigene Postkarte zu gestalten und sie an ukrainische Kinder zu schicken.
 
* Vidkrytky" ist ein Kunstwort, eine Mischung aus Ukrainisch und Russisch, das die Wörter "Öffnung" und "Postkarten" enthält.

Wann
Eröffnung der Ausstellung, 28. Oktober, 18 Uhr
Dauer, 28.10-28.11.2023
Öffnungszeiten
Mittwoch - Freitag: 14-20h
Samstag: 10-20h
Sonntag: 10-18 Uhr
 
Wo
Verein Freiwerk, Basel
https://freiwerk-basel.ch
Elsässerstrasse 215 | 4056
 
Kontakt
E-Mail: vidkrytky@immerda.ch

* mit den Namen Versteck der Erinnerungen wollen die Initiator.innen ein Bild hervorrufen: Die Lieblingsorte der malenden Kinder sind gefährdet, und damit auch die Erinnerungen. Sie brauchen Schutz und Geborgenheit und sie denken dabei bildlich an Asthütten und Verstecke im Wald oder im Park, die sich Kinder gemeinsam einrichten.
PS: Das Projekt umfasst einen Postkarten-Workshop mit Kindern aus der Ukraine, die jetzt in Saint Imier leben. Die künstlerischen Aktivitäten dieser Kinder werden seit mehreren Monaten von NeSTU unterstützt.
 


Maksym Butkevych
Von unserem langjährigen Freund, dem ukrainischen Menschenrechtsaktivisten haben wir schon öfters berichtet. Im März diesen Jahres wurde er in einer Justizfarce in Luhansk von einem russischen Gericht zu einer 13jährigen Haftstrafe verurteilt. Er habe Anfang Juni 2022 mit einem Minenwerfer auf ein Wohnhaus in Severodonetsk geschossen und zwei Frauen verletzt. Die Tatsache, dass er sich und seine Einheit zum angegebenen Zeitpunkt gar nicht in der Ostukraine befand sondern in der Nähe von Kyiv, spielte dabei keine Rolle. Der einzige Beweis war das gefilmte Geständnis Maksyms, offenbar unter Druck oder gar unter Folter entstanden. Am 22. August behandelte ein Berufungsgericht in Moskau den Einspruch seines Anwalts. Maksym war per Videoschaltung aus dem Gefängnis in Luhansk dabei.

Das Gericht änderte nichts am Urteil, was niemand weiter überraschte, bloss wurden ihm sieben Monate angerechnet, die zwischen dem Beginn der Strafuntersuchungen und dem Urteil vergangen waren.

Erfreulicher war, dass Maksym trotz der schlechten Haftbedingungen seinen Humor wieder gefunden hat und auch einen verhaltenen Optimismus ausstrahlte. Während das Gericht in einem Nebenzimmer tagte, konnten einige anwesende russische Menschenrechtler und sein Anwalt sich relativ ungestört mit Maksym unterhalten (dabei entstand das Foto oben). So erfuhr er, dass sein Name an der Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises zu vernehmen war und dass sich sehr viele Menschen für sein Schicksal interessieren. Im Gefängnis ist er völlig von der Aussenwelt abgeschnitten. Es gibt nur russisches Fernsehen. Auch Bücher und Papier gibt es nicht, Briefe und Pakete werden nicht ausgehändigt. Maksym gibt seinen Mitgefangenen Englischunterricht ohne jegliche Hilfsmittel, von sich selber berichtet er, dass er seine Französischkenntnisse aus dem Gedächtnis auffrischt.

Das Urteil des Berufungsgerichts war eine dringend erwartete Bedingung für einen eventuellen Gefangenenaustausch Maksyms. So verlieren wir die Hoffnung nicht, ihn bald in Freiheit zu sehen. Wir wissen aber auch, dass es tausende Kriegsgefangene gibt, und viele von ihnen schmachten mindestens so lange wie Maksym in den russischen Lagern. In den vergangenen Wochen gab es eher weniger Austausche als zuvor.

Kontakt zu NeSTU:

Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans

E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:

Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
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Jürgen Kräftner