"Er wird zu seinem Gegenteil gemacht“. Der Menschenrechtsaktivist und Antifaschist Maksym Butkevych ist in Kriegsgefangenschaft geraten. Jetzt versucht die russische Propaganda, ihn als "Nazi" darzustellen.

27. Juli 2022 Graty (dt. Gitter)

Maxim Kamenev

Originaltext Ukrainisch

Übersetzt von Jürgen Kräftner

 

Der Menschenrechtsaktivist und Journalist Maksym Butkevych schloss sich nach dem Beginn der vollumfänglichen Invasion der ukrainischen Armee an. Am 24. Juni wurde er in der Region Luhansk gefangen genommen und hat sich seither nicht gemeldet. Seither wurde er in zahlreichen russischen Medien als "Propagandist", "Nazi" und "Zugführer einer Strafeinheit" dargestellt. Maksyms Eltern beschlossen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, da sie befürchteten, dass er in Russland von der Liste der Kriegsgefangenen gestrichen und in einem Strafverfahren verurteilt werden könnte.

Dieser Text besteht aus Interviews mit den Eltern, Kollegen und Freunden von Maksym Butkevych, dem Menschenrechtsaktivisten, der die Ukraine während beinahe fünf Monaten mit der Waffe in der Hand verteidigt hat und nun auf Hilfe angewiesen ist.

Unabhängigkeit

Maksym Butkevych gab sein einziges Interview als Offizier der ukrainischen Armee dem von ihm 2013 mitbegründeten Hromadske Radio. Er erinnerte sich daran, wie er sich am ersten Tag des Einmarsches der Russischen Föderation zum Einberufungsbüro der Armee begab. Dort wurde ihm gesagt, er solle auf einen Anruf warten. Eine Woche später erfolgte der Anruf, und am 4. März war Maksym bereits in der Armee.

 

"Ich habe schon vor der Invasion beschlossen, der Armee beizutreten und das Land, die Stadt und alles, was wichtig ist, zu verteidigen. Nach dem 24. Februar gab es für mich keine Alternative", sagte Maksym in dem Interview. Er betonte, dass er sein ganzes Leben lang ein überzeugter Antimilitarist war und ist, aber gleichzeitig fühle er sich in der Armee am richtigen Ort.

 

Maksym hat sich seit seiner Kindheit für die Unabhängigkeit der Ukraine eingesetzt. Im Oktober 1990 nahm er als 7.-Klassler einer Kiewer Schule an der "Revolution auf Granit" teil, einem Studentenstreik zur Unterstützung der Unabhängigkeit. Ihre Teilnehmer traten auf dem Platz der Oktoberrevolution, dem heutigen Maidan Nezalezhnosti in Kiew, in den Hungerstreik.

 

Maksym erinnerte sich später daran, dass er damals zusammen mit zwei Schulkameraden ein Streikkomitee organisierte und einen Brief zur Unterstützung des Studentenstreiks an die Schüler verteilte. Schließlich beschlossen die Schüler, nicht zu streiken, sondern die Studenten öffentlich zu unterstützen und Geld für die Bedürfnisse des Zeltlagers zu sammeln. Maksym trat an der Studentenaktion öffentlich auf.

 

"Ich möchte alle Schulen, die sich uns noch nicht angeschlossen haben, dazu auffordern, die Studentenbewegung und die Bewegung für die Unabhängigkeit der Ukraine zu unterstützen", sagte Butkevych damals und fügte hinzu. – „Wir haben Sie unterstützt, unterstützen Sie und werden Sie weiterhin unterstützen. Ruhm für die Ukraine!“

 

Im Jahr 1990 trat Butkevych der Union der Unabhängigen Ukrainischen Jugend (SNUM) bei und blieb bis 1992 deren Mitglied. Maksym erinnerte sich später daran, dass er in der SNUM die Bedeutung kollektiven Handelns begriffen hatte, dass ihm aber der hierarchische Charakter der Organisation nicht gefiel.

"Ich wurde mir dessen bewusst, dass der Kampf für die Unabhängigkeit der Ukraine Teil des Kampfes für die Freiheit der Menschen ist", erinnerte sich Butkevych später. Aber er fügte hinzu, dass er den Widerspruch zwischen dem Aufbau eines Staates und der Freiheit des Einzelnen, der individuellen und horizontalen Interaktion zwischen den Menschen bald deutlich empfand.

 

Anarchist

Maksym beendete das Gymnasium, das Ukrainische Humanistische Lyzeum, in der bereits unabhängigen Ukraine. 1993 trat er in die philosophische Fakultät der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität in Kiew ein.

 

Hier trat Butkevych der Studentengewerkschaft "Prjama Dija“ (Direkte Aktion) bei. Die Mitglieder der Gewerkschaft verstanden sich als Anarchisten. Später sagte Maksym, dass er sich zunächst weigerte, sich einer ideologischen Strömung zuzuordnen. Aber als er einmal wieder als "Anarchist" bezeichnet wurde, verglich er seine Ansichten mit dem, was als anarchistische Tradition galt, und stimmte zu.

 

Mitte der 1990er Jahre führte Prjama Dija Aktionen zur Verteidigung der Rechte von Studenten durch. Im Jahr 1997 schlossen sie sich den Oppositionsparteien an und forderten die Auszahlung der Gehälter der Staatsbediensteten. Bei einer der Kundgebungen wurden die Aktivisten von Männern in Zivil festgenommen, in nicht gekennzeichnete Polizeiautos gesetzt und zur Polizeiwache gebracht. Nachts bekamen sie Besuch von SBU-Beamten.

 

„Sie haben uns nicht nur die "Erklärungen" weggenommen, sondern uns auch erklärt, dass sie ein Verfahren nach dem Artikel über den Versuch eines Angriffs auf die Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung einleiten könnten. Dies war eines der Signale dafür, dass das Kutschma-Regime in eine harte autoritäre Phase eingetreten war", erinnerte sich Butkevych.

 

Im Jahr 1998, als Maksym sein Philosophie-Studium abschloss, hörte Prjama Dija auf zu existieren. Zu diesem Zeitpunkt sah Butkewych den Anarchismus als eine Art zu denken und die Welt wahrzunehmen.

 

"Anarchist zu sein bedeutet, kritisch sein zu können, ohne zynisch zu werden", sagte Maksym später in einem Interview.

 

Journalist

Oleksandr Butkevych erinnert sich, dass sein Sohn schon als Student begann, als Freelancer Artikel zu verfassen, und nach seinem Abschluss wandte er sich professionell dem Journalismus zu - er arbeitete beim Fernsehsender STB.

 

Maksym sagte, er sei durch Zufall zum Fernsehen gekommen - er habe von Freunden von der freien Stelle in der internationalen Nachrichtenredaktion erfahren. Er arbeitete zweieinhalb Jahre lang beim STB als Journalist. Maksym berichtete als Auslandskorrespondent über zentrale Ereignisse der internationalen Politik. 1999 besuchte er Russland vor den Präsidentschaftswahlen, im Jahr 2000 verbrachte er während den Präsidentschaftswahlen einen Monat in den USA. Im September desselben Jahres berichtete Maksym über den Pariser Gipfel des Internationalen Währungsfonds. Im Anschluss an diese Reise drehte Butkevych den Dokumentarfilm "The World Is Not for Sale" über die internationale Bewegung der Globalisierungsgegner.

 

Er erinnerte daran, dass sein Interesse an internationalen Ereignissen, Problemen der Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit in hohem Maße seine Beteiligung an der "Direkten Aktion", der anarchistischen Initiative "Tigra Nigra" und an Protestkampagnen bestimmt hat.

 

Im November 2001 wechselte Butkevych zum Fernsehsender "1+1", dem damals populärsten Sender der Ukraine. Er berichtete weiter für die Auslandsredaktion.

 

Butkevych interessierte sich vorwiegend für Themen und Prozesse, die "wunde Punkte" der modernen Welt sind: Migration, Ungleichheit in der Gesellschaft und zwischen den Ländern, die Situation in Konfliktregionen und die Widersprüche, die auftreten, wenn man versucht, Entwicklungsprozesse zu stoppen und sie in "alte Rahmen" zu pressen, - sagte Butkevych 2002 der Zeitung Izvestija und fügte hinzu, dass die wirtschaftliche Globalisierung und die Migrationsprozesse seine Lieblingsthemen sind.

 

Butkevych blieb nicht lange bei 1+1. 2003 wurde er Korrespondent des BBC World Service und zog nach London. Ein Jahr später begann in der Ukraine die "Orangene Revolution".

 

Oleksandr Butkevych erinnert sich, dass sein Sohn die Revolution unterstützte, aber in London blieb und weiterhin für die BBC arbeitete. Dann schrieb er sich für den Masterstudiengang "Angewandte Anthropologie" an der Universität Sussex ein, den er 2006 abschloss. Daraufhin beschloss er, in die Ukraine zurückzukehren.

 

"Er beschloss, dass er in die Ukraine gehört und dass er hier mehr tun kann", sagt Maksyms Vater.

 

Aktivist

Bei seiner Rückkehr in die Ukraine, 2006, nahm Maksym zunächst seine Arbeit bei 1+1 wieder auf. Am 14. Februar desselben Jahres wurden 11 usbekische Staatsangehörige, die sich vor politischer Verfolgung um Asyl bemühten, aus der Ukraine abgeschoben.

 

Der SBU (Geheimdienst der Ukraine) und das Staatliche Komitee für Staatsangehörigkeits- und Migrationsangelegenheiten verweigerten ihnen nicht nur das Asyl, sondern lieferten sie auch nach Usbekistan aus. Nach sechs Monaten in ihrem Heimatland wurden die Flüchtlinge zu Haftstrafen zwischen 3 und 13 Jahren verurteilt. 

 

Iryna Fedorovych, damals Mitglied von Amnesty International, erinnert sich: Die Geschichte machte Max so wütend, dass er eine Protestaktion organisierte.

 

"Max war von der Grobheit der Abschiebung schockiert, umso mehr, dass dies nach der Orangenen Revolution passieren konnte", sagt Fedorovych.

 

Menschenrechtsaktivisten und Aktivisten brachten das Justizministerium dazu, die Rechtswidrigkeit der Abschiebung von Flüchtlingen zu bestätigen und Verstöße durch staatliche Behörden einzuräumen.

 

"Die Kampagne dauerte mehr über ein Jahr. Die ukrainischen Diplomaten im Ausland begannen schließlich zu sagen: "Genug von diesem Fall. Wir geben Alles zu", erinnert sich Fedorovych.

 

Dennoch wurde keiner der Mitarbeiter des SBU und des staatlichen Migrationsausschusses strafrechtlich verfolgt.

 

Dies war nicht die erste Kampagne Butkevychs gegen die illegale Ausweisung von Ausländern aus der Ukraine. Im Jahr 1999 entführte der SBU sogar mehrere usbekische Oppositionelle, die der Verfolgung in ihrem Heimatland entkommen wollten, und übergab sie in Kyiv an ihre usbekischen Kollegen. Zu ihnen gehörte Mukhammad Bekzhan, Chefredakteur der Zeitung Erk (Freiheit), die von der gleichnamigen Partei herausgegeben wurde.

Muhammad Bekzhan

 

"Ein oder zwei Jahre später wurden in Usbekistan die Tage der ukrainischen Kultur gefeiert. Zu diesem Anlass traf Leonid Kutschma in Taschkent ein. Auf seiner Pressekonferenz fragte ihn einer der ausländischen Journalisten: "Was halten Sie von den Vorwürfen, Sie hätten in Kyiv lebende usbekische Oppositionelle an Usbekistan ausgeliefert? Kutschma lieferte eine Ausrede: "Wir wurden in die Irre geführt und sagten, sie seien Terroristen, und wir glaubten das. Und er entschuldigte sich bei den unschuldig Verurteilten", erinnert sich Mukhammad Bekzhan in seinen Memoiren "Auf der anderen Seite der Angst".

 

Er verbrachte 18 Jahre in usbekischen Gefängnissen, laut Reporter ohne Grenzen eine der längsten Haftstrafen der Welt für einen Journalisten. Bereits nach der Freilassung von Mukhammad Bekzhan bat Graty Leonid Kutschma um eine Stellungnahme zu seiner Entführung und Überstellung, aber wir bekamen keine Antwort.

 

Butkevych protestierte gegen die Auslieferung von usbekischen Oppositionellen an das Regime von Islam Karimow. Er nahm ein Video auf, in dem er die Abschiebung als rechtswidrig bezeichnete und die Freilassung der oppositionellen Aktivisten forderte.

Im Sommer 2006 wurde Maksym selbst Opfer eines Missbrauchs durch russische Strafverfolgungsbehörden. Die Polizei nahm ihn und 34 weitere Aktivisten in St. Petersburg während einer Anti-Globalisierungs-Kundgebung fest. Am 16. Juli verhängte das Gericht gegen Butkevych eine dreitägige Haftstrafe wegen Widerstands bei seiner Festnahme. Butkevych erhielt keinen Anwalt und das ukrainische Konsulat wurde nicht über seine Festnahme informiert.

 

Butkevych focht die Entscheidung des russischen Gerichts vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. Nach 12 Jahren entschied der EGMR, dass Maksyms Verhaftung rechtswidrig war, und ordnete an, dass Russland ihm eine Entschädigung in Höhe von 9.000 Euro zahlen muss.

 

Maksym erinnerte sich später in einem Interview daran, dass die Erfahrung des Protests, die freie Meinungsäußerung auch unter der Bedrohung möglicher Repression, die Erfahrung von Konflikten mit Machtstrukturen und Inhaftierung - ihn zum Menschenrechtsaktivisten machten.

 

Kein Mensch ist illegal

"Wir haben mit Elena Ryabinina von Memorial zusammengearbeitet. Oft wurden wir angerufen und hörten: "Ich auf Lenas Rat an. Ich möchte mit Maksym sprechen" - es klang wie ein Geheimcode", erinnert sich Fedorovych.

 

Der Geflüchtete kam in das Ohne-Grenzen-Büro, wo Maksym und seine Kollegen ihn befragten, ihm das Verfahren zur Einreichung der Dokumente erklärten und ihn zum Migrationsdienst begleiteten.

 

Im Jahr 2008 sagte Maksym in einem Interview mit Gazeta 24, dass die tägliche Arbeit eines Menschenrechtsverteidigers im Gegensatz zum Aktivismus monoton sei und aus dem Schreiben von Anfragen, dem Studium von Gesetzen und der Überwachung bestehe.

 

"Der Löwenanteil der Arbeit besteht aus sehr einfachen und trivialen Dingen - den Menschen muss beigebracht werden, wie sie den Flüchtlingsstatus beantragen können, was zu tun ist, wenn Dokumente abgelehnt werden, wie man Widerspruch einlegt und so weiter", so Butkevych.

 

Damals bezeichnete er die Diskriminierung durch die Polizei als das Hauptproblem von Migranten in der Ukraine. Nicht selten führten ihre Begegnungen mit Vollzugsbeamten zu illegalen Festnahmen und Geldstrafen.

 

"Maksym vertritt den Standpunkt, dass es keine illegalen Menschen gibt", sagt die Menschenrechtsaktivistin Sasha Feinberg, die sich 2010 dem Projekt No Borders angeschlossen hat. Er sagt, Butkevych sei nie ein Ein-Mann-Manager gewesen, der entscheidet, wer was tun soll.

 

"Das ist es, was das Projekt so einzigartig gemacht hat, denn dann merke ich, dass ich nicht einen bestimmten Job mache, sondern mein normales Leben lebe und das tun kann, was ich für richtig und wertvoll halte", erklärt Feinberg. Ihr zufolge hat das No Borders-Team jedes Jahr mehreren Dutzend Menschen geholfen.

 

Ein horizontales Entscheidungssystem ermöglichte es der Ohne-Grenzen-Initiative, ohne Maksym zu arbeiten, als er 2011 beim UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge in der Ukraine, Moldowa und Belarus (UNHCR) als Community Liaison Officer anfing. Der Arbeitsvertrag mit dem UNHCR machte anderweitigen Aktivismus unmöglich. Ein Jahr später gab Butkevych den Job wieder auf und kehrte zur Grassroots-Menschenrechtsarbeit zurück.

 

Später, im Jahr 2017, verglich Maksym in einem Interview Menschenrechtsverteidiger mit Arbeitern in einer Abwässerreinigungsanlage.

 

"Aber jedes Mal, wenn es mir gelingt, jemandem zu helfen, fühle ich mich, als hätte ich 'die Welt gerettet'", sagte Maksym damals.

 

Oft wollten die Menschen, denen Maksym und das No Borders-Team geholfen haben, keine Publicity, aber einige waren bereit, ihre Probleme vor der Kamera zu erzählen. Im Jahr 2019 bildeten mehrere solcher Geschichten die Grundlage für den Dokumentarfilm

„Without Status: Ukraine“ unter der Regie von Dmitri Tyazhlov. Der Film wurde auf dem ukrainischen Dokumentarfilmfestival DocuDays über Menschenrechte uraufgeführt.

 

"Für mich ist das Kino eines der besten Mittel, um allgemeine oder spezifische Probleme über konkrete Fälle darzustellen, so dass sie verständlicher werden", sagte Maksym Butkevych vor der Premiere des Films.

Nazokat Pulatova mit ihrer Tochter Hanifa

 

Im Oktober 2020 entführten (ukrainische) SBU-Beamte den usbekischen Oppositionellen Alisher Haidarov und übergaben ihn der usbekischen Geheimpolizei. Nachdem gegen Haidarov in Usbekistan ein Strafverfahren wegen Extremismus eingeleitet worden war, war er 2010 in die Ukraine geflüchtet und lebte seither in der Stadt Bila Tserkva (unweit von Kyiv). Haidarov hatte erfolglos versucht, in der Ukraine einen legalen Status zu erlangen. Er wandte sich hilfesuchend an einen Migrationsbeamten, der ihm gegen Geld einen Pass besorgte. Doch dann begann er, Khaidarov zu erpressen und drohte, ihn an Usbekistan auszuliefern. Und so ist es gekommen. Haidarovs Frau, Nazokat Pulatova, die mit ihren Kindern in Bila Tserkva geblieben ist, wandte sich an die Menschenrechtsaktivisten von No-Border um Hilfe. Butkevych forderte anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Nasokat die ukrainischen Behörden auf, ernsthaft zu untersuchen, wie Haidarow nach Taschkent kam.

 

Grati hat die Geschichte von Alisher Haidarovs Entführung und Verfolgung in Usbekistan in einem Artikel mit dem Titel "Paradies im Schatten der Baustellen" ausführlich erzählt. Die Flüchtlinge in der Ukraine sind der "Freundschaft" der Geheimdienste schutzlos ausgeliefert.

 

Gegen Hassverbrechen

Maksym und seine Kollegen engagierten sich nicht nur in der Flüchtlingshilfe, sondern auch in der rechtlichen Unterstützung von Opfern von Hassverbrechen.

 

"Die ersten Hassmorde in den Jahren 2006-2008 zeigten, dass die Justiz sie nicht als solche qualifizierte. Unsere Aufgabe war es also, die Strafverfolgungsbehörden dazu zu bringen, ordnungsgemäß gegen sie zu ermitteln", erinnert sich Fedorovych.

 

Neben Beratung, rechtlicher und sozialer Unterstützung haben Maksim und seine Kollegen 2010 eine Hotline für die Opfer solcher Verbrechen eingerichtet.

 

Maksym selbst bezeichnete, als er über Hassverbrechen sprach, die Jahre 2006 bis 2009 als die gefährlichste Zeit für die Ukraine. Damals kam es regelmäßig zu Angriffen, Verstümmelungen und Morden aus Hass. Er räumte jedoch ein, dass sich die Situation schließlich wendete.

 

Im Jahr 2012 beteiligte sich das „Zentrum für Soziale Aktion“ an einer Kampagne zum Schutz des Studenten Olaolu Femi von der Nationalen Universität Luhansk. Die Staatsanwaltschaft von Luhansk beschuldigte ihn des versuchten Mordes. Laut Anklage griff er vier Männer im Eingangsbereich eines mehrstöckigen Gebäudes an, schlug und verletzte einen von ihnen mit einer abgebrochenen Flasche. Femi bestritt die Schuld und betonte, er habe sich nur gegen die betrunkenen jungen Männer verteidigt, die ihn zunächst rassistisch beleidigt und dann angegriffen hätten.

 

In einem Kommentar gegenüber der Zeitung Fakty sagte Butkevych, dass er die Situation nicht ad acta schieben und der Sache auf den Grund gehen wolle. Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass die Opfer nur leichte Verletzungen hatten. Dennoch erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen versuchten Mordes. Auch die Umstände des Vorfalls waren abstrus: Warum sollte ein einzelner Mann eine vierköpfige Gruppe betrunkener Männer angreifen?

 

Sascha Feinberg erinnert daran, dass die Menschenrechtsaktivisten eine breit angelegte Informationskampagne ins Leben gerufen hatten, an der sich zahlreiche NROs beteiligten. Menschenrechtsaktivisten und Aktivisten protestierten regelmäßig vor dem Leninskij-Bezirksgericht in Luhansk, vor dem der Fall des Studenten verhandelt wurde. Auch in Kyiv fanden Aktionen zu seiner Unterstützung statt. Femi wurde dennoch für schuldig befunden, erhielt aber statt 11 Jahren Gefängnis eine Bewährungsstrafe. In der Untersuchungshaft wurde er von der Universität verwiesen. Am Ende, so erinnert sich Feinberg, konnte Femi zumindest die Ukraine verlassen.

 

Kein Mensch ist illegal

Im Jahr 2007 wurde Maxim Mitglied des Vorstands von Amnesty International Ukraine. Iryna Fedorovych erinnert sich, dass nach der Kampagne gegen die Ausweisung von Flüchtlingen andere politische Emigranten aus Usbekistan begannen, Maksym zu kontaktieren.

 

"Max wollte immer mehr machen. Er ist ein Mann - eine Drehscheibe, die weiß, wie man Menschen "erleuchtet". Die Flüchtlinge fanden ihn durch Mundpropaganda. Irgendwann bereitete er ein Projekt vor, das von den Geldgebern genehmigt wurde. So entstand die No-Border-Initiative, die schließlich zu einem Projekt und Teil des NRO-Zentrums für soziales Handeln wurde", erinnert sich Fedorovych. Zusammen mit Maksym wurde sie Mitinitiatorin von No-Border.

 

Die Organisation half vor allem politischen Flüchtlingen aus Usbekistan, Belarus und Russland. Maksym und seine KollegInnen arbeiteten mit russischen Menschenrechtsaktivisten zusammen - damals durften usbekische Bürger das Land nicht ohne Genehmigung der Behörden verlassen. Eine Ausnahme bildeten Reisen in die Länder der ehemaligen Sowjetunion. Daher kamen politische Emigranten aus Usbekistan oft auf dem Transitweg über Moskau in die Ukraine.

 

Auf die politischen Flüchtlinge aus Usbekistan folgten Menschen, die von den Behörden wegen ihrer religiösen Überzeugungen verfolgt wurden.

 

Im Jahr 2012 wurde Maksym Mitglied des Vorstands des Menschenrechtszentrums ZMINA.

 

Alexander Butkevych sagt, Maksym habe sich sehr für eine korrekte Berichterstattung über Menschenrechte in den Medien eingesetzt - er habe Seminare und Schulungen, auch zum Thema "Hassrede", durchgeführt und sei Ausbilder des Netzwerks "Human Rights Houses" gewesen. In den Jahren 2019-2021 war er Koordinator und aktiver Teilnehmer an der praktischen Umsetzung des Programms zur Überwachung und schnellen Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine - REAct, der Public Health Alliance.

 

Solidaritätskomitee

Im Jahr 2014, nach der russischen Annexion der Krim und dem Ausbruch des Krieges im Donbass, begannen Butkevych und das Team von NoBorder, neben der Hilfe für Migranten aus dem Ausland auch Binnenmigranten von der Krim und aus dem Donbass zu unterstützen.

 

Maksym erinnerte sich später, dass er damals überlegte, wo sein Einsatz am wichtigsten wäre. Damals trat er nicht in die Armee ein.

 

"Wir konzentrierten uns auf die Unterstützung von Binnenvertriebenen. Das war wichtig. Unserem Team ist es gelungen, vielen Männern und Frauen zu helfen", erinnert sich Maxim.

 

Parallel dazu schloss sich Maksym dem "Solidaritätskomitee" an, das Ukrainer.innen unterstützte, die nach der Annexion der Krim in Russland zu politischen Gefangenen geworden waren. Sasha Feinberg erinnert sich, dass das Solidaritätskomitee eine durchaus heterogene Gruppe war, mit Aktivisten von der Krim und solchen, die nichts mit der Halbinsel zu tun hatten. Ihre Mitglieder setzten sich für die Freilassung der politischen Gefangenen Oleg Sentsov, Gennady Afanasyev und Alexander Kolchenko aus russischen Gefängnissen ein.

 

"Es war eine Informationskampagne, um die Öffentlichkeit auf das Schicksal der politischen Häftlinge aufmerksam zu machen. Es gab nicht nur Medienarbeit, sondern auch praktische Aktionen, wie z. B. die Möglichkeit, eine Postkarte zur Unterstützung von Oleg Sentsov zu schreiben. Maksym ging dann zur Post und schickte ein Päckchen mit den Briefen", erinnert sich Feinberg.

 

Am 7. September 2019 ließ Russland Sentsov und Kolchenko im Rahmen des sogenannten "großen Gefangenenaustauschs" frei. Maksym Butkevych erfuhr, während er in Kyiv gegen die Schliessung eines legendären Kinos protestierte, dass das Flugzeug mit den politischen Gefangenen, für deren Freilassung er während fünf Jahren gekämpft hatte, auf dem Flughafen Boryspil in Kyiv gelandet war. Feinberg erinnert sich, wie Maksym ans Mikrofon trat und die Demonstranten informierte.

 

Nach der Freilassung von Afanasjew, Sentsov und Kolchenko konzentrierte sich das Solidaritätskomitee auf die Verteidigung des Aktivisten Jewgenij Karakaschew. Im Jahr 2019 verurteilte ihn ein Gericht in Rostow am Don zu sechs Jahren Haft, weil er in seiner VKontakte-Korrespondenz öffentlich zu „terroristischen Aktivitäten“ aufgerufen hatte.

 

Antifaschist

Bei der Verteidigung der Opfer von Hassverbrechen und Fremdenfeindlichkeit sprach sich Maksym offen gegen die russischen und ukrainischen rechtsextremen Aktivisten aus, die diese Verbrechen vor allem begingen. Er bezeichnete Maksym Martsinkevych, den Organisator der Projekte Format-18, Restrict und Occupy Pedophilia öffentlich als Neonazi. Martsinkevych wurde in Russland nach mehreren Paragraphen des Strafgesetzbuches verurteilt, unter anderem wegen Aufstachelung zum Hass und Extremismus.

 

Butkevych nahm regelmäßig an den Gedenkveranstaltungen für den Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und die anarcho-ökologische Aktivistin Anastasia Baburowa teil, die 2009 in Russland von Neonazis ermordet wurden. Ukrainische rechtsradikale Organisationen versuchten regelmäßig, diese Kundgebungen zu behindern.

 

Infolgedessen wurde Maksym selbst von der extremen Rechten angegriffen. Im Februar 2020 berichtete er, dass er unter Druck gesetzt wurde - Unbekannte hielten ihn auf der Straße an und fotografierten ihn gewaltsam, um sein Foto auf dem Telegramkanal Volière (Вольер) zu veröffentlichen, auf dem Rechtsradikale Bilder von ihren Feinden veröffentlichen.

 

Im Sommer 2021 wurde Maksym vor dem Sechsten Berufungsgericht in Kiew, wo er den belorussischen Anarchisten Alexey Bolenkov unterstützte, von Rechtsradikalen angegriffen.

 

Während er sich öffentlich gegen rechte Gewalt aussprach, bekräftigte Maksym Butkevych wiederholt, dass er den Kampf für die Unabhängigkeit der Ukraine unterstütze.

 

"Ich brauche die Ukraine als ein Land freier Menschen, als ein Projekt, als eine Gesellschaft und Bewegung in Richtung eines Ideals, in dem jeder und jede in diesem Land ohne Angst leben kann", sagte er in einem Interview und fügte hinzu: "Wir müssen für eine Ukraine der freien und solidarischen Menschen kämpfen.“

 

Nach dem Beginn der russischen Invasion ging Maksym an die Front, um für die Ukraine zu kämpfen.

 

"Die Tatsache, dass er sich, während er bereits in der Armee Dienst leistete, weiterhin als Antimilitarist bezeichnete, passt für mich organisch zu Maksyms Weltanschauungen - Anti-Macht, Anti-Militarismus, Anti-Polizei. Wo die Schaffung einer besseren, geschützten Welt nicht bedeutet, jeden Bereich mit Menschen in Uniform und mit Waffen zu füllen, auch wenn er selbst eine Zeit lang zu einer solchen Person wurde", sagt die Menschenrechtsaktivistin und Mitglied der Bewegung No Border, Kateryna Babych.

 

Kriegsgefangener

Oleksandr Butkevych erhielt am Abend des 18. Juni die letzte SMS von seinem Sohn: "Alles ist in Ordnung. Später erzählte einer der Freiwilligen, mit denen Maksym befreundet war, seinen Eltern, dass er am nächsten Tag, dem 19. Juni, eine Nachricht von ihm erhielt, in der er ihm mitteilte, dass sie nach "Zero" (die erste Frontlinie) verlegt würden.

 

"Er beschloss, uns nichts davon zu sagen, offensichtlich, um uns nicht zu beunruhigen. Danach haben wir nichts mehr gehört", sagt Aleksandr Butkevych.

 

Am 24. Juni übermittelten Freiwillige den Eltern von Maksym einen Link zu einem Video von seinem Verhör. Am nächsten Tag teilte Maksyms stellvertretender Kompaniechef seiner Mutter telefonisch mit, dass ihr Sohn in Gefangenschaft sei.

 

Von Verwandten der Soldaten aus dem Zug seines Sohnes erfuhr Aleksandr Butkevych, dass zwei von ihnen am 25. Juni einen kurzen Anruf tätigen konnten, um ihre Verwandten darüber zu informieren, dass sie irgendwo in der Nähe von Luhansk gefangen gehalten werden, aber jeden Moment an einen anderen Ort verlegt werden könnten.

 

Am 14. Juli, drei Wochen später, erhielt Aleksandr Butkevych eine offizielle Mitteilung: "Leutnant Maksym Butkevych wurde am 24.06.2022 bei der Verteidigung seines Vaterlandes gegen einen bewaffneten Angriff der Russischen Föderation in der Nähe des Dorfes Myrna Dolina, Region Luhansk, gefangen genommen.

 

Aleksandr Butkevych sagt, dass normalerweise keine Informationen über die Gefangenschaft veröffentlicht werden, aber im russischen Informationsraum wurde bereits am 24. Juni damit begonnen, aktiv Lügen über seinen Sohn zu verbreiten. In russischen Publikationen, die ihm von Bekannten zugeschickt wurden, wurde Maksym als "Nazi", "Faschist", "bekannter ukrainischer Propagandist", "Zugführer einer Strafeinheit" und so weiter bezeichnet.

 

"Im russischen Informationsraum ist Maksym zum Gegenteil der Person geworden, die er in Wahrheit ist. Ich vergleiche es unwillkürlich mit dem Ministerium für Wahrheit aus Orwells Roman 1984. Man hat den Eindruck, dass die Russen dieses Buch als Lehrbuch hatten, aber sie haben sogar das Ministerium in ihrer 'Kunst' der Lüge übertroffen", sagt Aleksandr Butkevych.

 

Die Eltern von Maksym befürchten, dass die Russen nun versuchen werden, ihren Sohn aus politischen Gründen anzuklagen.

 

"Wenn Du eine Lüge nicht widerlegst, bedeutet das, dass Du mit ihr einverstanden bist", sagt Aleksandr Butkevych.

 

Als er sich an die Hauptdirektion des Nachrichtendienstes des Verteidigungsministeriums wandte, um sich über die gefälschte Propagandakampagne gegen seinen Sohn im russischen Informationsraum zu beschweren, erhielt er nur eine lakonische Antwort: "Wir haben Sie gehört."

 

"Ich habe dann gesagt, dass wir das Moratorium für die Offenlegung von Informationen beenden und das Einzige, was wir tun können, ist, den russischen Lügen wahrheitsgemäße und dokumentierte Informationen darüber entgegenzusetzen, wer Maksym wirklich ist", sagt Aleksandr Butkevych. - Maksyms Freunde und Kollegen, Menschenrechtsaktivisten, ukrainische und ausländische Journalisten traten von Anfang an mit einem solchen Vorschlag an uns heran, aber wir folgten der Empfehlung, "zu schweigen". Wir haben begriffen, dass ein weiteres Schweigen ein "stilles Verbrechen" gegen unseren Sohn wäre.

 

Die Eltern wissen immer noch nicht, wo und in welchem Zustand Maksym ist. Seit seiner Gefangennahme hat er sich nicht mehr gemeldet.