Rundbrief 29.10.2024

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Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

979 Tage Krieg sind eine Ewigkeit. Im vergangenen September hat die russische Armee erstmal ohne Unterbrechung jede Nacht grosse, todbringende iranische Kampfdrohnen Shahed auf die Ukraine losgelassen, insgesamt 1339 Stück. Alleine in der Nacht vom vergangenen Sonntag auf Montag waren es genau 100 Drohnen. Auch die Kämpfe im Osten und Nordosten der Ukraine haben sich intensiviert und viele Menschen müssen fliehen. In Cherson im Süden der Ukraine machen kleine Kampfdrohnen systematisch Jagd auf Zivilisten ohne Unterschied, fast täglich gibt es Opfer zu beklagen. Das moskauer Regime setzt dabei auf die Zermürbung der ukrainischen Bevölkerung und ihrer Verbündeten, je nach Blickwinkel scheint diese Rechnung aufzugehen. 

Angekommen an diesem Punkt lohnt es sich, etwas genauer hinzusehen, darum geht es in diesem Rundbrief.
Auf Vermittlung von Hanna Nahorna von der NGO Mental Recovery waren wir im September mit Hudaki in Charkiw und haben für Geflüchtete in einem Lager südlich der Grossstadt ein kleines Sonntagskonzert gegeben. Eine Gruppe von Freiwilligen unter der Leitung eines russisch-orthodoxen Diakons(!) hat dort eine ehemalige Schweinefarm zu einer sympathischen Siedlung für Geflüchtete aus der Region und aus Mariupol umgebaut. Natürlich spürt man, dass diese Menschen schwer an ihren Schicksalen zu tragen haben. Dennoch herrscht hier, nur wenige dutzend Kilometer von der Front, eine friedliche und überaus freundschaftliche Stimmung. Ein paar Fotos von dieser Reise, auch von unserem Auftritt an einem grossen Solidaritätskonzert in Kyiv, sind weiter unten zu sehen. Immer wieder lohnt es sich, weit ins Land und auch in den Osten der Ukraine zu fahren, den Menschen in die Augen zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Kapitulation ist jedenfalls kein Thema. Auch an grossen Anlässen in Kyiv und in Lwiw entsteht, natürlich völlig subjektiv, der Eindruck einer vielschichtigen Stimmung. Die Menschen suchen sich vom Stress zu erholen, sie wollen leben und einfache Dinge geniessen, wir spüren viel mehr Respekt im öffentlichen Raum, eine gewisse Trauer und vor allem Frauen, die offenbar Angehörige verloren haben und in Schwarz gekleidet sind, aber wenn wir dann musizieren, leuchten die Augen und es wird ausgelassen getanzt.

 


In Transkarpatien
Unser Gebiet liegt im äussersten Westen der Ukraine und ist vor den russischen Horden durch die Karpaten geographisch geschützt. Daher gilt es nicht ganz zu Unrecht als eine Art friedliche Insel. Wir hatten keine nennenswerten Schäden durch Raketenbeschuss und der tägliche Sirenenalarm wird hier von fast allen ignoriert, nur die Schulkinder müssen jeweils in den Keller übersiedeln. Andererseits ist dies eine sehr oberflächliche Betrachtung. Das Foto oben stammt vom Friedhof von Chust. Die Fahnen zeugen davon, dass hier Soldaten begraben sind. Die Gräber im Vordergrund sind frisch und eine weitere Parzelle wird gerade vorbereitet. In allen kleinen und grösseren Städten wurden zentrale Gedenkstätten eingerichtet, wo vor grossformatigen und gut sichtbaren Fotos der gefallenen einheimischen Soldaten und Soldatinnen Blumensträusse deponiert werden. 
Und leider hat der Krieg auch bei uns noch viele andere, schreckliche Konsequenzen. Viele Männer wollen nicht einrücken, manche leben in einer panischen Angst vor der omnipräsenten Militärpolizei. Sie verstecken sich, oder versuchen, sich irgendwie der Mobilisierung zu entziehen. Das kostet sehr viel Geld, und so manch einer bezahlt mit dem Leben. 


Ausserdem in diesem Rundbrief:

  • Einfrieren des Kriegs? Der aus Sewastopol auf der Krim stammende Politikwissenschafter Anton Schechowzow schreibt, was er von einem Einfrieren des Kriegs und gleichzeitigem NATO-Beitritt der Ukraine hält und wie die Reaktion der Ukrainer und Ukrainerinnen auf den Krieg zu deuten ist.

  • Video: Der dänische Militärexperte Anders Puck Nielsen erklärt in seiner 12minütigen Video schlüssig, warum er davon ausgeht, dass Russland den Krieg in der Ukraine nicht länger als bis Ende 2025 führen kann. (Tipp: in den Einstellungen bei Youtube ist es einfach, die Untertitel in der gewünschten Sprache einzublenden).

  • Die reichen Rohstoffvorräte der Ukraine sind ein häufig ignorierter Faktor im Krieg. Die "Länderanalysen Ukraine" haben dazu eine wertvollen Überblick publiziert. Dies ist umso interessanter, als diese strategisch wichtigen Vorkommen einen wichtigen Platz im sogenannten Siegesplan einnehmen, den Präsident Zelenskiy kürzlich vorgestellt hat. Der Bericht der Länderanalysen ist hier online zu finden.

  • Erfreuliches von Svydovets:  Nach sieben Jahren Rechtsstreit hat der Oberste Gerichtshof der Ukraine am 9. Oktober 2024 die Genehmigungen für die Verbauung des Svydovets-Massivs für illegal erklärt und sie annuliert. Dies ist ein wegweisendes Urteil und ein sehr erfreuliches Lebenszeichen einer unabhängigen Rechtssprechung in der Ukraine. Was aus den beiden weiteren, erst 2022 bekannt gewordenen und ebenfalls riesigen Tourismusprojekten nördlich des Svydovets-Massivs wird, ist derzeit unbekannt, aber die Investoren werden sich sicher nicht einfach geschlagen geben. Wir danken Allen, die diesen langen Kampf unterstützt haben!


Veranstaltungs- und Lesetipps: 
Jugendchorkonzerte: Zwei Konzerte mit bekannten ukrainischen Jugendchören in Adligenswil und Reussbühl am 9. und 10. November. Der Flyer

Filmveranstaltungen Longo mai: Die Kooperative Longo mai hat in Nyzhne Selyshche seit Kriegsbeginn sukzessive Infrastruktur, Wohnraum und auch Gewerbe für Geflüchtete geschaffen. Darüber ist ein Dokumentarfilm gedreht worden, der ab dem 29. Oktober an zahlreichen Orten in der Schweiz gezeigt wird. Die Daten 
Am Anlass am Sonntag, 3. November in Ruswil ist auch NeSTU aktiv beteiligt.

Und bitte vormerken: Am Samstag, 5. April 2024 findet in Luzern die Jahresversammlung von NeSTU statt. Wir erwarten Gäste aus der Ukraine.

Vom CAMZ in Uzhhorod kommt folgender Lesetipp: Pavlo Kazarin, Der wilde Westen Osteuropas, Der ukrainische Weg aus dem Imperium
Die Ukraine ist das neue »West-Berlin« Ost-Europas. Die Annexion der Krim und die russische Invasion im Donbas zwangen Kyjiw zu rasantem Wandel. Vor zehn Jahren war die Ukraine noch ein postsowjetisches Land mit gespaltener Identität – heute ist sie ein Vorposten Europas, der nun bereits das dritte Jahr in Folge dem Ansturm der russischen Armee trotzt. Der Wilde Westen Ost-Europas ist ein Buch darüber, wie diese Transformation möglich wurde.

Weihnachtsgeschenke von NeSTU
NeSTU hat schön gestaltete Grusskarten mit Selbstporträts von Kriegskindern gedruckt. Sie können diese Karten bei der Geschäftsstelle bestellen, Preis für ein Set mit 6 Karten inklusive Kuverts: 20 CHF. 
Das Buch "Am richtigen Platz" mit Texten von Maksym Butkevych ist für 15 CHF plus Versandkosten ebenfalls bei unserer Geschäftsstelle erhältlich.
Wir empfehlen eine gruppierte Bestellung, so sparen Sie Versandkosten und machen uns eine Freude! info@nestu.org

Redaktion: Jürgen Kräftner, NeSTU, Longo mai in Nyzhne Selyshche
 

Lieber Leser, liebe Leserin
Ihre Spende ist sehr wichtig und tatsächlich unersetzlich, damit wir unsere mutigen und entschlossenen Partner in der Ukraine in ihrer Arbeit unterstützen können. Wir sind dankbar für jede Summe! Unser Spendenkonto finden Sie am Ende dieser Mail.


Aus der ersten kurzen Videomitteilung von Maksym Butkevych, zwei Tage nach seiner Freilassung:
Frei zu sein ist Glück, und es ist der natür­lichste mensch­li­che Zustand, das Wesen des Men­schen. Deshalb sind die Ver­su­che, andere Men­schen zu unter­jo­chen, sie zu Sklaven, zu Waren, zu Objek­ten der Mani­pu­la­tion zu machen, eine Schande und ein Ver­bre­chen von kata­stro­pha­lem Ausmaß. Deshalb erlaube ich mir, meiner Dank­bar­keit eine beschei­dene Bitte hin­zu­zu­fü­gen: Ver­ges­sen wir bitte nicht, die Unter­joch­ten und die Ver­sklav­ten, die in Gefahr sind und deren Würde ständig auf die Probe gestellt wird; tun wir alles, was wir können, um sie zu befreien. Denn solange jemand ein Sklave bleibt, ist niemand von uns wirk­lich frei. Ich danke Euch und Gott segne Euch.
Maksym wurde am selben Tag auch von Präsident Zelenskiy empfangen, und mit ihm gemeinsam etwa 20 weitere VertreterInnen der ukrainischen Zivilgesellschaft. Es war das erste derartige Treffen seit Kriegsbeginn.
Weitere Information zur Befreiung von Maksym gibt es hier.


Über die Natur des russischen Kriegs in der Ukraine und eine langfristige Besetzung
von Anton Schechowzow, ukrainischer Politikwissenschafter in Wien
Text aus seinem Kanal auf X
Über Anton Schechowzow auf Wikipedia

Obwohl ich die Idee, der Ukraine eine NATO-Mitgliedschaft anzubieten, ohne Gebiete außerhalb der nachhaltigen Kontrolle Kiews unter den Schutz von Artikel 5 einzubeziehen, generell unterstütze, sollten wir uns meiner Meinung nach ehrlich sein: Sollte dies tatsächlich geschehen, wird die Ukraine diese Gebiete in absehbarer Zukunft wahrscheinlich nie wieder zurückerlangen.

Der Grund, warum die oben erwähnte Sicherheitsvereinbarung nicht als „Szenario eines geteilten Deutschlands“ bezeichnet werden kann, liegt in dem konzeptionellen Unterschied zwischen der sowjetischen Besetzung von Teilen Deutschlands und der russischen Besetzung von Teilen der Ukraine.

Die sowjetische Besetzung Ostdeutschlands war trotz der sowjetischen Bemühungen um eine langfristige ideologische Transformation überwiegend ein traditioneller Besatzungsfall. Die russische Besetzung von Teilen der Ukraine weicht jedoch dramatisch von klassischen Besatzungsfällen ab, da sie von den Absichten eines Völkermords untermauert wird.

Natürlich beinhalteten sowjetische Besetzungen manchmal Elemente des ethnokulturellen Engineerings (ein prominentes Beispiel war in den baltischen Staaten zu finden), aber die Sowjets hatten nie die Absicht, die deutsche Nation in Ostdeutschland zu zerstören. Und obwohl es den Sowjets gelang, die Ostdeutschen kulturell und ideologisch von den Westdeutschen zu trennen (auch die westlichen Demokratien trugen zu diesem Prozess bei), hörte keine der beiden Gesellschaften auf, deutsch zu sein.

Die heutige russische völkermörderische Besetzung ukrainischer Gebiete zeigt einen ganz anderen Ansatz: Diese Gebiete werden gründlich von allen ukrainischen ethnokulturellen Elementen gesäubert. In vielerlei Hinsicht sind diese Entwicklungen deutlich schlimmer als zu Sowjetzeiten.

Die Sowjet-Ukraine war immer noch die Ukraine, eine ethnokulturelle ukrainische Republik. Im Gegensatz dazu werden die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete in die ethnische „russische Welt“ eingegliedert und sogar rechtlich als Regionen ohne jeglichen Bezug zur Ukraine in den russischen Staat eingegliedert.

Alle Lügen Moskaus über eine schöne, russlandfreundliche Ukraine sind genau das, was sie sind – Lügen –, da Moskau keinerlei Absicht hat, irgendetwas Ukrainisches – sei es etwas Russophobes oder Russophiles – auf den von ihm besetzten ukrainischen Gebieten zu behalten.

Das mangelnde Verständnis für den drastischen Unterschied zwischen verschiedenen Besatzungsformen (politisch/wirtschaftlich vs. völkermörderisch) hindert viele Menschen westlich von Wien daran, die Gründe zu erkennen, warum die Ukraine sich so vehement gegen die russische Invasion wehrt.

Die überwältigende Mehrheit der westlichen Gesellschaften hat in jüngster Zeit keine Erfahrung damit gemacht, von einer ausländischen Streitmacht besetzt zu werden, die beabsichtigt, ihren ethnokulturellen Kern auszulöschen. Und die Erfahrung, die sie mit Besatzung gemacht haben, bezieht sich auf Fälle traditionellerer Besatzung, die sich auf politische und wirtschaftliche Aspekte konzentrierte und nicht auf ethnische Planung.

Es wird also kein „Ostdeutschland“ in den von Russland besetzten Teilen der Ukraine geben, und es wird kein ukrainisches Volk geben, das irgendwann in der Zukunft wieder in die wiedervereinigte ukrainische Gemeinschaft integriert werden könnte, da es dieses Volk einfach nicht geben wird.
 

Hudaki in Charkiw und Kyiv
Auf den Fotos oben bekommt Ihr ein paar Eindrücke von der Reise von Hudaki nach Charkiw vom September. 30km südlich der Grossstadt haben unermüdliche Freiwillige für geflüchtete Familien aus dem umkämpften Gebiet weiter nördlich und aus dem Donbas, auch aus Mariupol, eine relativ komfortable und vor allem friedliche Unterkunft eingerichtet. Im Bild mit unserem Geiger Mischa, der Diakon Serhiy Leonidowytsch, eine wahrhaft eindrückliche Persönlichkeit. Seinen Lebensunterhalt verdient er für sich und seine Familie an einer Tankstelle in Charkiw.

Fotos unten: Unser Solidaritätskonzert in Kyiv für eine Einheit der ukrainischen Armee war auch ein besonderes Erlebnis. Etwa 1500 vorwiegend junge Leute, kein Alkohol aber dafür eine tolle Stimmung. Rein emotional ist dies schwer zu beschreiben. Eines wird auch hier wieder klar, die Ukraine gibt sich nicht auf.


Direktgepresster Apfelsaft aus Transkarpatien für Kinder in der Ostukraine

Die Mostsaison 2024...
... ist zu Ende. Sie war nicht einfach. Die feuchte Hitze des vergangenen Sommers hat die Rekordernte zu einem ziemlichen Desaster gemacht, die Äpfel fielen massenhaft faul von den Bäumen. Die Industrie hat diese Äpfel dennoch zu einem sehr hohen Preis aufgekauft, für Fallobst minderer Qualität wurden zuletzt bis zu 30 Rappen/kg bezahlt! Wir sammeln und sortieren selber und haben immerhin ein paar tausend Liter direkt gepressten Apfelsafts abgefüllt. Vor der Saison haben wir zwei Lastwagenladungen an unsere Freunde von den Angels of Salvation gespendet. Was sie damit gemacht haben, ist in der kurzen Video (oben) zu sehen.
Fotos unten: Auch beim Jugendgästehaus SargoRigo in Nyzhne Selyshche stehen ein paar alte Apfelbäume mit der begehrten einheimischen Sorte Ferkovanya (süss-säuerlich mit hohem Polyphenolgehalt). Im Bild rechts Juri, Vater von 5 Kindern aus Sumi, in der Nordukraine. Nachdem die Schule, in der er noch vor kurzem arbeitete, von einer russischen Rakete getroffen wurde, ist er mit seiner ganzen Familie nach Nyzhne Selyshche umgesiedelt, wo Freunde auf ihn warteten. Er ist ein praktisch denkender und handelnder Mensch, er hat sogar seine geliebte Hühnerzucht mit auf die über 1000km lange Reise genommen.

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Jürgen Kräftner
Rundbrief 22.10.2024

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Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Unser Freund, der ukrainische Menschenrechtsaktivist Maksym Butkevych ist am vergangenen Freitag Abend im Rahmen eines Kriegsgefangenenaustauschs freigekommen. Für uns, seine Familie und seinen Freundeskreis sind das die glücklichsten Momente seit Kriegsbeginn. Der Austausch kam für uns alle überraschend. Maksym selbst dachte nach eigenen Worten zunächst, dass er in ein anderes Straflager verlegt würde. Gestern hat er sich erstmals in einer kurzen Video "von ganzem Herzen" bei allen bedankt, die ihn während seiner Gefangenschaft unterstützt und seine Freilassung gefordert haben. Zugleich bittet er, all jene nicht zu zu vergessen, die weiterhin in russischer Kriegsgefangenschaft unter häufig schrecklichen Bedingungen eingesperrt sind. 
Maksym selbst macht in den kurzen Videos einen vergleichsweisen fitten Eindruck: abgemagert, aber glücklich, etwas ungläubig ob der unerwarteten Befreiung. Er befindet sich derzeit in einem staatlichen Rehazentrum. Wir hoffen, ihn bald treffen und in die Arme schliessen zu können.

Das besondere an diesem Austausch von jeweils 95 ukrainischen und russischen Kriegsgefangenen war die Freilassung von über 20 in Russland zu langen, zum Teil lebenslangen Haftstrafen verurteilten ukrainischen Soldaten. Auch sie waren die Opfer von Justizparodien wie im Falle von Maksym. Das gibt zahlreichen Männern und Frauen Hoffnung, die  - manche bereits seit Frühjahr 2022 - weiterhin in Russland eingesperrt sind. Insgesamt wurden seit Kriegsbeginn 3767 Männer und Frauen aus russischer Kriegsgefangenenschaft befreit.

PS für unsere Leser und Leserinnen:
Eigentlich hatten wir für das vergangene Wochenende bereits einen umfangreichen Rundbrief vorbereitet... Sie bekommen also bald wieder Post mit Berichten von unseren Projekten, Veranstaltungs- und Lesetipps von NeSTU.
Redaktion: Jürgen Kräftner, NeSTU und Longo mai Ukraine.

https://www.youtube.com/watch?v=L3sQIWYryus
Ich bin zuhause! Ich kann es nicht glauben!

Obwohl Maksym sicher nicht Teil irgendeines ukrainischen Establishments ist, wurde seine Freilassung auch von Präsident Zelenskiy in seiner abendlichen Videoansprache besonders erwähnt. Hier eine kurze Video des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU.


Am richtigen Platz
Dies ist der Titel eines Buchs mit Texten des Menschenrechtsaktivisten und Pazifisten Maksym Butkevych, der sich im Februar 2022 freiwillig zur Armee gemeldet hat und im Juni 2022 in Kriegsgefangenschaft geraten war. "Am richtigen Platz" ist kurz vor der Freilassung Maksyms beim Anthea-Verlag in Berlin erschienen.
Butkevych hat sich seit Jahrzehnten stets für Menschen eingesetzt, deren elementare Rechte vom Staat missachtet werden oder die Opfer von Hass und Gewalt sind. Seine vielfältigen Texte aus über 20 Jahren geben einen Eindruck über seine kritische und selbstkritische Denkweise und zugleich einen differenzierten Blick auf brennende Fragen der ukrainischen Gesellschaft.

Sie können es bei der Geschäftsstelle von NeSTU oder direkt beim Verlag bestellen: 12,5 x 19 cm, Paperback,140 Seiten, 15.-CHF 

Hier ist das Vorwort für "Am richtigen Platz" von Oleksandra Matwijtschuk, ukrainische Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin.


Oleksandra Matwijtschuk, Vorsitzende des Center for Civil Liberties, das 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
 
Vor Ihnen liegt eine Sammlung von Texten und Interviews des ukrainischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Maksym Butkevych. Die Texte stammen aus verschiedenen Jahren und beziehen sich auf unterschiedliche Anlässe, Länder und Personen, aber immer geht es um die Verteidigung der Marginalisierten und die Wahrung der Menschenwürde.
 
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Publikation befindet sich Maksym bereits seit zwei Jahren in russischer Gefangenschaft. Er wurde aufgrund erfundener Anschuldigungen zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Russische Föderation ignoriert demonstrativ die Normen des Völkerrechts und die Beschlüsse internationaler Organisationen, sodass Maksym keine anderen Mittel zur Verfügung stehen, um sich zu verteidigen, als seine Worte und seine Haltung. Und genau diesen Worten und dieser Haltung ist das vorliegende Buch gewidmet. Ich möchte Ihnen den Autor ein wenig vorstellen, der dies im Moment nicht selbst tun kann.
 
Ich kann mich nicht mehr an den Moment erinnern, als ich Maksym Butkevych kennengelernt habe. Aber es kommt mir so vor, als würde ich ihn schon so lange kennen, wie ich denken kann. Im Rahmen seiner Menschenrechtsarbeit hat er sich dem Schutz der am meisten benachteiligten Gruppe von Menschen verschrieben, die leider in keiner Gesellschaft je viel Empathie erfahren hat: Geflüchtete, Asylsuchende, Migrant*innen. Mit seinem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit setzte er sich unermüdlich für die Menschenwürde ein. Das erlaubte ihm, auch kleinste Anzeichen von Machtmissbrauch oder Fremdenfeindlichkeit zu erkennen. Nie schreckte er davor zurück, sich dagegen zu stellen. Auch wenn er von der Mehrheitsgesellschaft nicht verstanden oder unterstützt wurde.   
 
Maksym ist ein sehr tiefgründiger Mensch. Einmal erwähnte er in einem Gespräch sein theologisches Selbststudium. Gleichzeitig war er unter Antifaschist*innen und Anarchist*innen zu Hause. Es war spannend, mit ihm sowohl über philosophische Konzepte als auch über praktische Probleme der Menschenrechtsarbeit zu diskutieren. Kein Wunder, dass er Mitbegründer von Hromadske Radio wurde, dessen Motto «Hört zu. Denkt nach» er beispielhaft verkörpert. Maksym kann zuhören, wie kaum ein anderer. Man möchte sich ihm anvertrauen.
 
Als tatkräftiger Mensch ist er jederzeit bereit, sich einzusetzen und Themen voranzutreiben. So arbeiteten wir gemeinsam an einem Menschenrechtsplan für das Parlament, entwarfen Strategiepapiere im Kampf gegen die Straflosigkeit von Folter durch die Polizei und nahmen an Demonstrationen für Meinungs- und Pressefreiheit teil. Ich kann mich an keine einzige wichtige Aktion erinnern, an der er nicht beteiligt war.
 
Als Reaktion auf das brutale Durchgreifen gegen Student*innen auf dem Maidan im November 2013 hat unser Team die Initiative Euromaidan SOS ins Leben gerufen. Wir machten es uns zur Aufgabe, landesweit allen Menschen, die für ihre Beteiligung an den Protesten belangt werden sollten, Rechtshilfe zur Verfügung zu stellen. Auch hier war Maksym unter den ersten, die uns unterstützten. Als Journalist fand er die Zeit, für Euromaidan SOS täglich über Misshandlungen, Folter und willkürliche Verhaftungen zu berichten. Als Mensch motivierte er die Freiwilligen mit Witzen und Selbstironie. In diesen schwierigen Zeiten erinnere ich mich sehr gerne an seinen Humor.
 
Niemand von uns war auf den Krieg vorbereitet. Aus heutiger Sicht erscheint es offensichtlich, dass Russland nach dem Sturz des pro-russischen Regimes von Janukowytsch eine Invasion beginnen würde, um uns auf unserem Weg zur Demokratie aufzuhalten. Aber als ich im Februar 2014 unserem Koordinator schrieb, dass es so aussehe, als seien russische Soldaten als «grüne Männchen» ohne Hoheitszeichen auf der Halbinsel gelandet, schrieb er mir überrascht zurück: «Lesja, wovon redest du?». Ich verstand damals selbst nicht, was da vor sich ging.
 
Zu Maksyms wichtigsten Grundsätzen gehört Solidarität. Als die russische Besatzungsmacht die ersten politischen Gefangenen auf der Krym festnahm, gründete er das «Solidaritätskomitee für die Geiseln des Kremls». Noch heute erinnere ich mich an eine Aktion, bei der wir am Geburtstag von Hennadij Afanasjew, der vom FSB als Terrorist verhaftet, gefoltert und verurteilt worden ist, im strömenden Regen eine große Torte durch die Straßen trugen. Für Maksym bestand kein Zweifel daran, dass wir unseren Leuten durch den kompromisslosen Kampf für sie die Kraft gaben, bis zu ihrer Befreiung durchzuhalten.
  
Maksym glaubt an das Beste im Menschen. Deswegen hat er viele Jahre die Entstehung des internationalen Festivals für Dokumentarfilm und Menschenrechte, Docudays UA, unterstützt. Von der Festivalbühne rief er einmal zu einer Solidaritätsaktion für den zu Unrecht inhaftierten Regisseur, Oleg Sentsov, auf. Es ist bittere Ironie, dass die Teilnehmer*innen des Filmfestivals nur wenige Jahre später Schilder mit der Aufschrift #FreeMaksymButkevych hochhalten sollten.
 
Nachdem er bereits in Gefangenschaft geraten war, hatte ich die Gelegenheit, seine Eltern kennenzulernen. Seine Mutter und sein Vater, echte Intellektuelle aus Kyjiw, kämpfen unermüdlich für die Freilassung ihres Sohnes und ertragen die ihnen auferlegten Strapazen mit Würde. Kaum vorstellbar, was sie das fast sechsmonatige «Verschwinden» von Maksym gekostet haben mag, nachdem er in einem Scheinprozess zu 13 Jahren Lagerhaft mit strengen Haftbedingungen verurteilt wurde.
 
Die Anklage war offenkundig an den Haaren herbeigezogen. Die Handlanger des Kremls haben sich nicht einmal besondere Mühe gegeben. Maksym wurde beschuldigt, an einem Tag Kriegsverbrechen gegen Zivilist*innen in der Region Luhansk begangen zu haben, an dem er sich nicht einmal dort aufhielt. Sein Anwalt legte dem Richter umfassende stichhaltige Beweise dazu vor. Doch das Urteil kam «von oben», weswegen dies niemanden interessierte.
 
In meiner Nobelpreisrede habe ich mich auf Maksym bezogen. Ich kann mich sehr mit seiner Antwort auf die Frage identifizieren, warum er sich als Antimilitarist nach der russischen Invasion den ukrainischen Streitkräften angeschlossen hat. Ich weiß sie auswendig. Angefangen mit: «Es sind tragische Zeiten», bis hin zu: «Hier bin ich am richtigen Platz».
 
Dein Platz ist auch bei uns, Maksym. Wir lieben dich. Wir glauben an dich. Wir kämpfen für dich. Wir warten auf dich.
 
[Aus dem Ukrainischen von Irina Bondas und Camilla Elle für Gegensatz Translation Collective.]

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Jürgen Kräftner
Rundbrief 30.08.2024

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Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Wieder lösen die russischen Bomben auf die Städte und Dörfer der Ukraine eine Fluchtwelle aus. In Kostyantynivka, Lyman und zwei Dutzend weiteren Orten des Donbas hat die regionale Militärverwaltung die Zwangsevakuierung der Familien mit Kindern angeordnet, davon sind zehntausende Menschen betroffen. Wir stehen in Kontakt mit der Leiterin der Musik- und Kunstschule von Kostyantynivka, Alina. Sie hat uns gebeten, nach Unterkunft für kinderreiche Familien zu suchen. Ende Mai hatten wir sie in ihrer Schule kennengelernt (s. unser Reisebericht) und waren sehr beeindruckt von ihrem Mut und ihrem Engagement. Nun hat sie die Stadt mit ihrem Kind verlassen, es wurde endgültig zu gefährlich: Im August wurde Kostyantynivka mehrmals schwer von Raketen und Bomben getroffen, dutzende Menschen, Erwachsene und Kinder wurden getötet. Die Front rückt derzeit täglich näher. Auch unsere befreundeten Organisationen Base_UA, Vostok-SOS und Angels of Salvation sind an den Evakuierungen beteiligt. Kurzfristig haben wir unser Gästehaus SargoRigo in Nischnje Selischtsche als Übergangslösung für einige Familien angeboten.
 

Mit diesem Flyer bedanken wir uns bei allen, die uns ermöglichen, kriegsgezeichneten Kindern und Jugendlichen in der Ukraine zu helfen Mut zu schöpfen, ihre Trauma zu überwinden und Freunde und Freundinnen mit ähnlichen Schicksalen zu finden.
NeSTU hat während der Sommermonate mehrere Jugend- und Familienlager der Organisationen Base_UA (Kramatorsk) und Mental Health Recovery (Charkiw) in Nischnje Selischtsche und Kryvoryvnia (Ivano-Frankivsk) unterstützt. Mehr dazu im nächsten Rundbrief.
Ein Bericht vom Mental Health Camp für Angehörige von gefallenen Soldaten ist hier zu finden (auf Englisch).

In diesem Rundbrief

  • Unsere Partnerorganisationen ProUkraïna und CAMZ haben einen wahrhaft riesigen Generator aus der Schweiz bis nach Kramatorsk im Donbas geliefert.

  • Die Hudaki Village Band kommt in die Schweiz, Konzerte im Brauiturm Hochdorf am Fr 6. September und in der Barakuba in Basel-Gundeldingen am Sa 7. September.

  • Die ukrainische Armee verschafft sich Luft im Norden und knickt im Donbas ein. Die Schäden in der Energieversorgung werden immer gravierender. Worauf müssen wir uns noch gefasst machen?

Verfasser dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, NeSTU Ukraine und Kooperative Longo mai.

Geheizte Wohnungen und warmes Wasser für Lazurniy, Kramatorsk
Dank der gemeinsamen Initiative von ProUkraïna in der Schweiz und dem CAMZ in Uzhhorod konnte sichergestellt werden, dass die Bewohner des Ortsteils Lazurniy, Kramatorsk im Donbas im Winter nicht frieren müssen. Ein in der Schweiz ausgemusterter, aber noch perfekt funktionstüchtiger Generator mit einer stolzen Leistung von 630 kVA steht nach den gemeinsamen Anstrengungen nun beim dortigen Fernwärmekraftwerk und wird dessen Betrieb auch bei Stromausfall aufrechterhalten. Davon profitieren bis zu 13'000 Einwohner und Einwohnerinnen. Bravo und herzlichen Dank allen Beteiligten!
Foto oben beim Umladen im Lager des CAMZ in Uzhhorod, unten vor der Weiterfahrt, weitere 1'500km in den Osten und dann bereits an Ort und Stelle vor der Fernwärmezentrale in Kramatorsk. 

Eine Archivaufnahme aus Friedenszeiten von Lazurniy, am Ostrand von Kramatorsk, also entsprechend exponiert. Wünschen wir dem Generator ein langes Leben.


919 Tage Krieg
Wir gehören weder zu den Eingeweihten des Generalstabschefs noch des Präsidenten der Ukraine, daher will ich nicht über deren Motive für den Angriff auf die russische Region Kursk mutmassen, der offensichtlich monatelang vorbereitet wurde. Freunde in der Schweiz fragten mich, was davon zu halten sei.
Von Soldaten an der Front hörte ich, dass sie sich zumindest anfänglich sehr gefreut haben und sogar hofften, dass die Ukraine das AKW von Kurtschatow einnehmen könnte, es ist eines der grössten Atomkraftwerke Russlands und liegt nur 60km nördlich der Grenze. Ukrainische Einheiten sind jetzt nur mehr 30km von ihm entfernt. Einen objektiven Vorteil hat die Operation jedenfalls erreicht: die Ukraine hat zahlreiche Kriegsgefangene gemacht und kann diese gegen eigene Gefangene austauschen. Ein erster Austausch hat vor ein paar Tagen bereits stattgefunden. Auf russischer Seite kämpfen in dem Gebiet "wertvolle" Soldaten, also solche, die Russland gerne eintauschen möchte: Einheiten des Geheimdienstes FSB und junge Rekruten, deren Mütter vergleichsweise lautstark die Rückkehr ihre Söhne fordern.

Ein anderer Pluspunkt ist das zu erhoffende politische Resultat auf internationaler Ebene. Wieder wurde eine der berühmten "roten Linien des Kreml" sang- und klanglos überschritten, und den Zweiflern im westlichen Ausland müssten eigentlich endlich die Augen aufgehen, dass es für ein schnelles Ende des Krieges vor allem eines braucht, nämlich eine ungebremste und vollumfängliche Unterstützung der Ukraine ohne Einschränkungen, was die Anwendung einzelner Waffensysteme betrifft.

Und nicht zuletzt - wir stehen in einem Abnutzungskrieg. Und diesen auf fremdem Territorium zu führen hat den Vorteil, dass diesmal nicht ukrainische Städte und Dörfer mitsamt ihrer Bevölkerung vernichtet werden.

Die Kehrseite der Medaille macht sich im Donbas bemerkbar. Natürlich fehlen dort die gut trainierten und ausgerüsteten Einheiten, die jetzt in Kursk kämpfen. Andererseits könnten wahrscheinlich auch diese anbetrachts der dortigen russischen Lufthohheit und des permanenten Beschusses mit Gleitbomben nicht viel ausrichten, solange die Ukraine nicht die Erlaubnis erhält, westliche Waffen gegen die russischen Bomber auf russischem Territorium einzusetzen.
Dies würde auch die kolossalen Kosten von vorneherein vermeiden, die die unaufhörlichen Angriffe auf unsere Umspannwerke und Kraftwerke verursachen, inbegriffen zukünftiger Fluchtwellen mit denen wir rechnen müssen, wenn im kommenden Winter bei strengen Frösten die Wasserleitungen in den Wohnhäusern bersten. Nach den letzten Beschüssen hatten wir Abschaltungen von über 12 Stunden. 


Hudaki
nochmals zur Erinnerung, wir freuen uns auf ein Wiedersehen in Hochdorf am Freitag 6. September und in Basel am 7. September!
Die Fotos unten geben ein paar Eindrücke von unseren CD-Aufnahmen in einer kleinen, uralten Kirche in der Nähe von Groningen. Nach unseren Konzerten in der Schweiz werden wir für eine weitere Aufnahmesession dorthin fahren. Wir müssen immer zittern, ob zwei unserer Musiker, die noch wehrpflichtig sind, ausreisen dürfen, aber diesmal sind wir optimistisch.
Bald werden wir erste Stücke unserer neuen CD veröffentlichen. Danke an Alle, die uns dafür unterstützt haben!
Auch in der Ukraine planen wir wieder einzelne Auftritte, im September Kyiv und eventuell sogar weiter im Osten. Ohne falsche Bescheidenheit, diese Musik ist der beste Stresslöser.


24. August - Unabhängigkeitstag der Ukraine in Zürich
Beinahe unbemerkt von den Schweizer Medien haben die Ukrainer und Ukrainerinnen sowie ihre Freunde und Freundinnen in der Schweiz die ukrainische Unabhängigkeit auch in Zürich zelebriert. Hier einige Fotos von der Demo.

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Jürgen Kräftner
Rundbrief 9.07.2024

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Aus dem Inhalt dieses Rundbriefs:

  • In Zusammenarbeit mit ProUkraïna und dem Verein Parasolka hat NeSTU im Mai einen ersten Hilfstransport in die Ukraine geschickt: Wertvolles medizinisches Material und 60 (!) Lastenfahrräder. Bericht vom Projektkoordinator Michael Roffler.

  • Der Autor dieser Rundbriefe war Mitte Mai in Charkiw und im Donbass und hat dort viele engagierte Menschen kennengelernt. Bericht und Fotos sind auf unserer Website zu finden.

  • Berichte von unseren Partnerorganisationen: Base_UA hat mit Unterstützung von NeSTU im Mai in den Karpaten ein weiteres Camp für Kriegskinder durchgeführt; im Jugendgästehaus SargoRigo in Nischnje Selischtsche fand ein erstes Camp des Vereins Molotok statt, diese neue Initiative trägt den Namen "FURT", der Bericht ist auf unserer Website zu finden; die NGO Mental Recovery aus Charkiw organisierte ebenfalls im Mai wieder ein Camp für insgesamt 50 Kinder und erwachsene Angehörige in den Karpaten. Ein ausführliches Gespräch mit der Koordinatorin von Mental Recovery, Anna Nahorna, ist in meinem Reisebericht zu finden.

  • In der Schweiz: In St. Imier gibt es neu, mit Unterstützung von NeSTU, einen Schachklub für geflüchtete Menschen aus der Ukraine und anderen Ländern. Der Ukraine-Treff in Stans organisiert weiterhin eine Bibliothek und am 12. Juni wieder einmal einen Ausflug, diesmal ins Benediktinerkloster Engelberg.

  • Die Hudaki Village Band musste im Juni eine Konzertreise absagen, ein Musiker war zur Armee einberufen worden. Anfang September soll es aber wieder klappen: Konzerte in der Braui Hochdorf LU am 6.9. und in der Barakuba in Basel am 7.9.

  • Lesetipp: Die ukrainische Schriftstellerin und Fotografin Yevgenia Belorusets schrieb kürzlich in der NZZ einen lesenswerten Beitrag über persönliche Erfahrungen mit der Rekrutierung von Soldaten in der Ukraine.

  • Zur Erinnerung: Sie können edel gedruckte Grusskarten mit den Selbstporträts ukrainischer Kriegskinder in 6er-Sets inklusive Kuverts bei NeSTU bestellen. Mindestpreis pro Set: 20.- plus Versandkosten. Der Erlös geht an Jugendprojekte in der Ukraine. 

Redaktion: Jürgen Kräftner, Kooperative Longo mai Nischnje Selischtsche, NeSTU-Ukraine.

Mit diesem Flyer bedanken wir uns bei Allen, die unsere gemeinsame Arbeit mit unseren Partnerorganisationen in der Ukraine in den vergangenen Monaten unterstützt haben. Er gibt einen Überblick über die Vielfalt und die Prioritäten unserer Arbeit. Wir haben ausreichend davon gedruckt und wir können Ihnen gerne weitere Exemplare zum Verteilen schicken. Mail
NeSTU ist weiterhin dringend auf Spenden von privater Hand angewiesen, herzlichen Dank für jeden Beitrag und für Empfehlungen, гарно дякуємо!


Erster gemeinsamer Hilfsgütertransport von ProUkraïna, Parasolka und NeSTU
Bericht von Michael Roffler

Am 22. Mai 2024 konnten wir einen grossen Transport mit einem ukrainischen Sattelschlepper nach Uzhhorod durchführen. 
Geladen wurden zahlreiche Hilfsgüter im Wert von über 125‘000 Franken. Von medizinischer Infrastruktur, über Mobiliar für den Neubau in Vil‘shany bis hin zu 60 Transportfahrrädern inklusive 700 kg Fahrrad-Ersatzteile war so ziemlich alles dabei, was man sich vorstellen kann. 
Aber beginnen wir doch von vorne. Nach der GV im März 2024, wo das Projekt Hilfsgüter-Transporte zum ersten Mal einem grösseren Publikum vorgestellt wurde, meldeten sich umgehend mehrere Leute, die dazu beitragen wollten. Darunter war Material im Wert von Tausenden von Franken, welches in der Ukraine dringend gebraucht wird. Wir konnten es im Zwischenlager in Winterthur einlagern, bis genügend Material für einen Transport beisammen war. 
Auch Parasolka trug viel dazu bei, so zum Beispiel elektrische Rollstühle, zusammenklappbare Tische aus einem Kirchgemeindehaus in Stansstad, Arbeitstische aus einer Fabrik in Aarburg und qualitativ hochwertige Stühle aus einer Kirche in Trimbach. Die Praxis-Übergabe einer Gynäkologin im Kanton Thurgau ergab noch zusätzliche wertvolle Geräte und Infrastruktur. 
Des Weiteren warteten in Schaffhausen 60 Transportfahrräder, ein Tandem, sowie zwei weitere Velos bereits seit Anfang des Krieges auf einen Transport in die Ukraine. Die schon ziemlich frustrierten Spender suchten immer wieder erfolglos nach einer bezahlbaren Transportmöglichkeit und einem zuverlässigen Abnehmer. Niemand traute sich den Transport dieser fabrikneuen Fahrräder zu – aus logistischen, zolltechnischen oder Kostengründen. Oder man verzichtete einfach darauf, weil Wert und Nutzen dieser Ladung nicht erkannt wurden. Ein solches Velo kostet im Laden 1‘100 Franken – man rechne. Auf den teilweise sehr schlechten Strassen sind solch robuste Transportfahrräder ein Segen und ersetzen das Auto, wenn es z.B. darum geht, einen Einkauf zu transportieren. 

Der komplette Bericht inklusive weiterer Fotos ist unter Aktuelles auf der Website von NeSTU zu finden
 

Zehn Fahrräder sind bereits in Bobrowyzja angekommen. Bobrowyzja ist ein Stadtteil am Nordostrand von Tschernihiw. Hier hat die russische Armee bei der Belagerung der Stadt sehr viel zerstört.

"Velorennen" auf Schweizer Fahrrädern vor zerstörten Häusern in Bobrowyzja.


Art-Camp Horizvit* von Base_UA in Drahobrat (Transkarpatien) im Mai 2024
Unsere Kolleginnen von Base_UA merken bei der Auswahl der Kandidat.innen für ihre Art-Camps die steigende Anzahl von Kindern, die Angehörige im Krieg verloren haben. Es ist eine zusätzliche Herausforderung, diese Kinder behutsam mit positiven Emotionen "aufzutanken" und ihnen so wieder etwas Lebensfreude auf den Weg mitzugeben. In der wunderbaren Atmosphäre der ukrainischen Karpaten und dank eines schon erfahrenen Teams scheint dies aber gut zu gelingen. Es war bereits das dritte Camp in diesem Jahr, das vierte läuft gerade,  in Nischnje Selischtsche. NeSTU unterstützt diese Camps massgeblich.
*Horizvit (горицвіт) ist der ukrainische Name für das Adonisröschen (oder Frühlingsadonis), buchstäblich übersetzt bedeutet der Name Bergblume.
Der Bericht der Koordinatorin Marharyta Kurbanova ist auf unserer Website zu finden, die Fotos sind ebenfalls sehr aussagekräftig. Einige davon hier...:


Schachklub in St. Imier
Am 31. Mai fand in Saint Imier das "Fest der Nachbarn" (Fête des Voisins) statt, organisiert von der Association MIA, Bericht von Diana Hrytsyshyna-Schenkel (NeSTU).

Das Programm umfasste Verkostungen von Spezialitätengerichten, Kommunikation und Gesellschaftsspiele. Etwa 100 Personen nahmen an der Veranstaltung teil:
Einheimische Freiwillige, die zu Beginn des Krieges Menschen aus der Ukraine Unterkunft geboten haben oder sonstwie unterstützt haben, sowie in St. Imier lebende Ukrainer und Ukrainerinnen und Geflüchtete aus anderen Ländern. Volodia, "unser" Schachexperte, nutzte die Gelegenheit und organisierte ein kleines Schachturnier, wobei die aus der Ukraine gelieferten Schachspiele gut gebraucht wurden. Es war ein beglückender Anlass, vor allem die Kinder strahlten ob der Gelegenheit, ihr Können als Schachspieler unter Beweis zu stellen. 
 


Ukraine-Treff Stans zu Besuch in Engelberg
Bericht von Kari Grunder
Bereits zum dritten Mal haben wir uns am 12. Juni vom Ukraine-Treff Stans mit unseren Freunden von Engelberg getroffen. Anastasia, Didi und Elisabeth haben für uns und für die in Engelberg lebenden Schutzsuchenden aus der Ukraine eine Führung durch das Benediktinerkloster organisiert. Unsere bunt gemischte Gruppe von 25 ukrainischen Frauen, Kindern und Männern und einigen Schweizer Begleitpersonen durfte die weitläufigen, prächtigen und geschichtsträchtigen Räume der Kirche und des Konvents besichtigen. Besonderes Staunen löste das weltberühmte Intarsienzimmer aus mit all seinen wunderbaren Details. Im Speisesaal hat uns Abt Christian persönlich mit Kaffee und Kuchen verwöhnt und sich auf unsere Fragen eingelassen. Für diese schöne Geste der Gastfreundschaft und für das Engagement unserer Engelberger Freunde bedanken wir uns herzlich!
 


Charkiw und Donbass, ein Reisebericht vom Mai 2024

Der vollständige Reisebericht ist auf unserer Website zu finden. Neben den vielen Eindrücken und Informationen von der Arbeit unerschrockener, aufrechter Menschen in unmittelbarer Frontnähe möchte ich eines besonders unterstreichen. Natürlich ist die Ukraine im Krieg kein Land für Tourismus. Aber nichts ersetzt die persönliche Begegnung mit diesen Menschen in ihrem angestammten Umfeld und das Lesen der vielen kleinen und grossen Anzeichen ihrer Unbeugsamkeit und ihres Lebenswillens.

Die Ukraine in der zweiten Maihälfte zu durchqueren ist ein grosses Privileg: tagelange Fahrten auf überraschend guten Strassen durch blühende, abwechslungsreiche Landschaften, liebevoll gepflegte Dörfer, üppige Blumenbeete vor bescheidenen Häusern und Grossstädte mit riesigen Parkanlagen und spannender Architektur. Die stets zitierten riesigen Weizen- und Sonnenblumenfelder auf den Schwarzerdeböden sind nicht so eintönig, wie man vermuten könnte. Verminte und daher nicht bestellte Felder haben wir nur in der Umgebung von Isjum, südöstlich von Charkiw, gesehen. Nach gut 3‘500km und zahlreichen Gesprächen entsteht ein Gesamteindruck, der mit der internationalen Kriegsberichterstattung nicht viel Gemeinsames hat.

Wir haben uns zu dritt auf den Weg gemacht, um eine Minibusladung hochwertigen Bastel- und Zeichenmaterials zu den entsprechenden Initiativen im Donbass abzuliefern. Freunde hatten es in Deutschland gesammelt, auch ein kleiner Stromgenerator war dabei. Dazu kamen ein paar hundert Liter Apfelsaft aus den Karpaten. Unsere Reisespesen übernahm das Europäische Bürger:innenforum, vielen Dank!

Nastya Malkyna und Genia Koroletov sind Künstler aus Luhansk. Sie mussten zweimal flüchten, 2014 und 2022, seither leben sie bei uns in Nischnje Selischtsche am Westrand der Ukraine. Genia und Nastya sind Mitbegründer der «Luhansk Contemporary Diaspora», eines Netzwerks avantgardistischer Künstler. Seit 2022 organisieren die beiden Workshops mit Kindern in und aus den Kriegszonen. Sie ermuntern diese, ihren Lieblingsort zu zeichnen und nehmen die dazugehörigen Geschichten auf. Daraus entsteht eine Sammlung an kleinen Kunstwerken, Erinnerungen und persönlichen Schicksalen.

Auch diese Reise sollte mit einem solchen Workshop in der Kleinstadt Swjatohirsk (Oblast Donezk, 30km von der Front) enden. Leider musste er in letzter Minute abgesagt werden. Die Militärverwaltung hatte kurzfristig jegliche Zusammenkunft von mehr als 3 Personen verboten, eine russische Grossoffensive sei geplant.

Der Dritte im Bunde war zugleich der Fahrer, anschliessend Autor, ansonsten Musiker und Hersteller von Cider und anderen Apfelderivaten bei der selbstverwalteten Kooperative Longo mai in der Ukraine. Unsere unterschiedlichen Hintergründe machten es umso spannender, uns während der Reise über die gewonnenen Eindrücke auszutauschen. Text: Jürgen Kräftner
Weiter geht's hier...:

Obstgarten
Zum Abschluss, schon traditionell, ein paar aktuelle Fotos aus unserem Obstgarten in Nischnje Selischtsche: 13 Hektar Apfel- und ein paar Birnbäume, robuste Sorten, die wir auf Spindelhochstamm ziehen. Der Frühling und der Frühsommer haben es sehr gut mit uns und unseren Bäumen gemeint. Eine ideale Mischung aus Wärme und Feuchtigkeit tut der Vegetation gut, derzeit sieht es auch nach einer guten Apfelernte aus. Wer sich beteiligen möchte, bitte um Nachricht an NeSTU.

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Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans

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Jürgen Kräftner
Rundbrief 28.04.2024

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Die ukrainische Regierung hatte der Bevölkerung angekündigt, dass 2024 ein sehr schwieriges Jahr würde. Das war keine Übertreibung. Vor allem in den front- und grenznahen Gebieten ist in den vergangenen Wochen ein Gefühl der kompletten Schutzlosigkeit gegenüber dem russischen Raketen- und Bombenterror aufgekommen. Besonders niederträchtig ist eine neue Taktik der Russen, einen Stadtteil ein zweites Mal mit Raketen zu beschiessen, wenn gerade die Rettung und Feuerwehr nach den ersten Treffern im Einsatz ist. Niemand kann derzeit mit Sicherheit sagen, ob es noch schlimmer wird. Sicher ist schon jetzt, dass die landesweite Stromversorgung nach den massiven Zerstörungen der vergangenen Wochen im nächsten Winter bei weitem nicht ausreichen wird.
Für die Soldaten, die schon seit über zwei Jahren an der Front sind, ist es eine herbe Enttäuschung, dass die soeben beschlossene Reform des Rekrutierungsgesetzes keine Fristen für die Demobilisierung vorsieht, wie ursprünglich angekündigt. Nicht alle sind dem lange anhaltenden psychischen Druck gewachsen. Ob die angekündigten Waffenlieferungen aus den USA, aus Tschechien und anderen Ländern bis zum Sommer ausreichen werden um den Spiess umzudrehen, lässt sich für uns Laien nicht absehen. Eindeutig ist, dass sie spät, sehr spät eintreffen. Die beschlossene verstärkte Mobilisierung verpflichtet alle Männer im wehrpflichtigen Alter von 18 bis 60 Jahren sich erneut bei den Rekrutierungsstellen zu melden. Das Mindestalter für eine Einberufung wurde von 27 auf 25 Jahre heruntergesetzt.  Ohne gültige Dokumente von der Armee dürfen Männer im wehrpflichtigen Alter nicht mehr Autofahren. Auch die zahlreichen wehrpflichtigen Ukrainer im Ausland könnten bald Schwierigkeiten bekommen, da ihre Reisepässe und andere Dokumente ohne gültiges Dokument vom Wehrkommissariat von den Konsulaten laut dem neuen Gesetz nicht verlängert werden (darüber gibt es widersprüchliche Informationen). All das klingt vielleicht nach Repression. Aber die Männer an der Front wünschen sich natürlich nichts sehnlicher, als Verstärkung und im besten Fall ihre Demobilisierung. Niemand will kapitulieren. Aber alle wollen leben.
Redaktion: Jürgen Kräftner, Longo mai, NeSTU-Ukraine

Dieses Bild stammt aus einem Sammelband "Wartime Posters", den unsere Freunde in Zaporizhia kürzlich herausgegeben haben. Autor: Nikita Titov.


In diesem Rundbrief:

  • Unser Schwerpunktthema sind zwei Initiativen zugunsten der ukrainischen Kinder und Teenager, geflüchtet, terrorisiert und häufig auch alleingelassen:

  • Mariya Surzhenko berichtet eindrücklich vom dieses Jahr bereits zweiten Art-Camp von Base_UA in Drahobrat.

  • Im Interview mit Tatiana (Tanja) Belousova erfahren wir von einer neuen Initiative in Nyzhne Selyshche. Im Jugendgästehaus Sargo Rigo soll kommenden Juni ein erstes Jugendlager in Eigenregie stattfinden. NeSTU hat ein Teambildungs-Seminar unterstützt, dass dort Anfang April 17 Freiwillige vereint hat.

  • Anstelle eines Berichts von unserer Jahresversammlung hier gleich ein Resultat. Unser neues Vorstandsmitglied Michael Roffler aus Winterthur sammelt in einem extra dafür angeschafften Container dringend benötigtes medizinisches Material und kümmert sich um dessen Transfer in die Ukraine. Ansprechpartner dort ist in erster Linie das CAMZ in Uzhhorod.

  • Die Hudaki Village Band kommt Ende Mai und im Juni wieder in die Schweiz. Konzerte in Brugg AG Fr 31.5., St. Gallen Fr 7.6., Schwyz Sa 8.6. und Wintersingen BL 9.6., sowie in Saignelégier JU am 29.6. Details unter www.hudakivillageband.com

  • Zur Erinnerung: Wir haben Sets von sechs Grusskarten mit Zeichnungen von ukrainischen Kriegskindern, zusammen mit den passenden Kuverts, die Sie für 20 Franken bei unserer Geschäftsstelle bestellen können. Der Erlös geht in Jugendprojekte in der Ukraine, siehe unten.

  • Eine Leseempfehlung (in englischer Sprache): der Artikel von Nataliya Gumenyuk in Foreign Affairs gibt einen umfassenden und nuancierten Überblick über die Herausforderungen, vor denen die Ukraine im dritten Kriegsjahr steht. 

Aufruf zur Unterstützung von Jugendprojekten in der Ukraine
NeSTU engagiert sich vorwiegend an Seiten von Initiativen, die kriegstraumatisierten Jugendlichen in der Ukraine zugute kommen, in diesem Rundbrief berichten wir ausführlich darüber. Wir suchen nunmehr auch Unterstützung von Stiftungen und anderen Institutionen, sind aber weiterhin sehr auf private Spenden angewiesen. Bitte leiten Sie diesen Aufruf gerne weiter und wer die Möglichkeit hat - wir sind dankbar über jede Summe!

Spendenkonto:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2

Eine neue Initiative im Jugendgästehaus Sargo Rigo in Nyzhne Selyshche
Interview mit Tanja Belousova
Tanja, 40 Jahre, Theaterpädagogin, lebt seit 2005 in Nyzhne Selyshche und hat hier seither hunderten Kindern die Welt des Theaters und anderer Formen der gemeinsamen Kreativität eröffnet. Gemeinsam mit einem Team von Longo mai und Einheimischen betreut sie auch das im Jahr 2017 eröffnete Jugendgästehaus Sargo Rigo, dessen Aufbau von NeSTU unterstützt wurde. Sargo Rigo hat schon vor dem Februar 2022 Kinder aus den Kriegsgebieten in Luhansk zur kreativen Erholung beherbergt. Zu Kriegsbeginn waren hier während fünf Monaten geflüchtete Kinder und junge Leute untergebracht.
 
Inzwischen haben Tanja und ihr Partner Slava eine 15 Monate alte Tochter, und sie möchte ihre Erfahrung in der Betreuung kriegstraumatisierter Kinder und Jugendlicher einbringen. Dabei ist sie nicht alleine: ein lokales, vierköpfiges Team hat die Initiative ergriffen: Olha von Longo mai in Nyzhne Selyshche, Viktoria aus Poltava, sie lebt mit ihrem Kind seit Kriegsbeginn in Chust und ihr Mann ist an der Front, der Videopädagoge Slava und Tanja. Anfang April haben sie potentielle MitstreiterInnen aus der ganzen Ukraine zum Kennenlernen und Planen eingeladen. Auf die Ausschreibung in den sozialen Netzwerken reagierten über 70 Personen!
Die Fotos im Beitrag stammen aus dem Seminar im Jugendgästehaus von Anfang April. 

Jürgen Kräftner: Was hat sich für die ukrainischen Kinder mit dem Krieg geändert? 
Tanja Belousova: Wir müssen unterscheiden, welche Kinder. Viele Kinder aus Transkarpatien sind im Ausland. Der Krieg hat in unserer Region die Tendenz verstärkt, dass Jugendliche und junge Erwachsene ihre Zukunft nicht innerhalb der Ukraine sehen. Die Kinder wollen nach Abschluss der Pflichtschule ins Ausland um dort zu arbeiten und zu leben. Viele junge Männer reisen aus, bevor sie wehrpflichtig werden. Ich kenne auch viele Studenten und Studentinnen, die jetzt im Ausland sind. Sie studieren online an ukrainischen Hochschulen und arbeiten gleichzeitig. Sie denken nicht an eine Rückkehr in die Heimat. Sie sehen keine Zukunft für sich im Dorf. Die Stimmung unter der Jugend hat sich verändert.
Bei den Geflüchteten aus den Kriegsgebieten, die jetzt hier leben, ist die Situation anders. Die meisten Jugendlichen, die über 12 Jahre alt sind, gehen hier nicht in die Schule. Sie lernen zuhause im Online-Unterricht ihrer früheren Schulen, die vielleicht materiell gar nicht mehr existieren, aber der Unterricht geht weiter. Sie sind damit sozial ziemlich isoliert, sie verbringen die meiste Zeit an ihren Smartphones und Computern, nicht alle haben Eltern, die für sie da sind.
Mit der Ankunft der vielen Geflüchteten haben sich in unserer Provinz auch die Angebote der Freizeitgestaltung vervielfacht. Es gibt nun alles nur Mögliche: Musik, Tanz aller Art, darstellende Kunst, Theater, Akrobatik, Privatunterricht und Nachhilfe. Wir haben viel Kontakt zu Kindern in Chust, weil wir in der Stadt auch ein kleines Jugendzentrum eröffnet haben, und die Kinder erzählen uns von diesen Angeboten. Leider ist die Qualität nicht immer so schön wie die Werbung. 

 Fotos oben: Das dreitägige Seminar diente den 13 auswärtigen und fünf  vor Ort lebenden Teilnehmern und Teilnehmerinnen zum gemeinsamen Planen, zum Kennenlernen und zum Austausch über Wünsche und Erwartungen an die gemeinsame Arbeit. Dazu gehörte auch das Kennenlernen der Umgebung, hier zum Beispiel der junge Hochstammobstgarten von Longo mai mit der Schaf- und Ziegenherde.

J.K. Wie stellt Ihr Euch die geplanten Jugendlager vor?
T.B. Wir gehen davon aus, dass alle Kinder in der Ukraine vom Krieg betroffen und auf unterschiedliche Art auch traumatisiert sind. Natürlich gibt es grosse Unterschiede zwischen Kindern, deren Familienmitglieder ums Leben gekommen sind oder deren Wohnung vollständig zerstört wurde und den Kindern zum Beispiel in unserer Region, die ein bisschen anders planen müssen, aber die nicht unmittelbar vom Krieg betroffen sind. Aber alle spüren irgendwie die Konsequenzen des Kriegs.
Unsere Jugendlager sind kein Ort der Therapie. Dafür sind sie zu kurz, und dafür sind wir auch nicht qualifiziert. Wir wollen Kindern und Jugendlichen in diesem sicheren Ort, dem Jugendgästehaus Sargo Rigo, die Gelegenheit bieten, während zehn Tagen intensiv künstlerisch tätig zu sein. Wir wollen gemeinsam ein Kunstwerk schaffen. Wir wollen das nicht als eine Art Beschäftigungstherapie mit vielen sehr unterschiedlichen Aktivitäten anbieten, sondern sehr konkret an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, und die Kinder wissen auch schon im voraus, was auf sie zukommt.
Und natürlich wird diese Aktivität einen therapeutischen Effekt haben, und wir wollen unbedingt auch einen oder eine Psychologin in unserem Team haben. Aber wir nennen es nicht Therapie.
Psychologen erklären, wie man einem traumatisierten Menschen helfen kann. Eine gute Methode ist es, diesem Menschen die Gelegenheit zu bieten, sich einer Beschäftigung hinzugeben, die er oder sie gerne macht, aber zuletzt keine entsprechende Möglichkeit dafür hatte. In diese Richtung möchten wir arbeiten. 
Wir haben uns dazu entschieden, Kinder mit unterschiedlichen Geschichten einzuladen. Wir wollen vermeiden, zum Beispiel nur stark traumatisierte Kinder zu empfangen. Manche haben Familienmitglieder verloren, andere nicht.

Mariya Surzhenko von Base_UA (rechts im weissen T-Shirt) ist zum Seminar angereist, um von ihrer Erfahrung von bereits zehn Art-Camps mit Kriegskindern zu berichten.

J.K. Welche Eindrücke hattest Du von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen an diesem Seminar?
T.B. Es war richtig schwierig, aus den 70 Bewerbungen 13 Personen auszuwählen. Eigentlich wollten wir noch weniger TeilnehmerInnen. Ich weiss nicht, ob hier in der Ukraine einfach viele Leute tolle Kandidaturen schreiben können, oder ob es wirklich so viele motivierte und erfahrene Menschen für unser gemeinsames Projekt gibt. Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass in der Ukraine jetzt viele Leute irgend etwas Nützliches für die Gesellschaft tun wollen, ohne gleich an die Front zu gehen.
Schliesslich haben wir Leute aus der ganzen Ukraine hier gehabt, aus Sumy, Kyiv, Ivano-Frankivsk, Donetsk, Lwiw. Darunter waren Theaterleute, Choreographen, Bildende Künstler und noch andere. Sie waren zwischen 20 und 40 Jahre alt. Fast alle haben schon mit Kindern gearbeitet, zum Teil auch ganz regelmässig in eigenen Jugendlagern oder sie arbeiten an ihrem Wohnort mit Jugendgruppen. Alle sind sehr motiviert, gemeinsam diese Camps zu gestalten. Etwas schwieriger wurde es, als wir sagten, dass wir die Camps auch gemeinsam organisieren möchten, also dass wir nicht die Organisation einfach übernehmen wollen und sie in ihrem Fachgebiet sozusagen anstellen möchten. Das hat die meisten etwas überrascht. Daran haben wir drei Tage lang gearbeitet, denn wir wollen nicht die Chefs sein, die alles planen und organisieren und den Leuten sagen, was sie tun müssen. Fast alle arbeiten ja schon mit Kindern und Jugendlichen, die vom Krieg traumatisiert sind.
 
J.K. Was habt ihr also beschlossen?
T.B. Wir haben beschlossen, Camps für Kinder verschiedener Altersgruppen durchzuführen, 8 - 10 Jahre, 10 - 13 Jahre und 13 - 16 Jahre. Und als zusätzliche Variante denken wir an kleinere Kinder, die mit ihrer Mutter oder ihrem Vater zu uns kommen.
Wir planen Camps, die von der Anzahl der Kinder her in unser Gästehaus passen. Das liegt nicht nur an unseren begrenzten Beherbergungsmöglichkeiten, sondern auch daran, dass wir viel Wert auf den ganz persönlichen Kontakt legen.
Wir haben uns auf darauf geeinigt, dass wir die Camps so gestalten möchten, dass wir gemeinsam mit den Kindern am Ende ein künstlerisches Produkt zeigen können. Unsere Camps sollen zehn Tage dauern, plus zwei Tage davor und danach für die BetreuerInnen.
 
J.K. Maria Surzhenko von Base_UA hat während einem Tag an Eurem Seminar teilgenommen und von ihren Erfahrungen berichtet.
T.B. Ja, das war sehr gut für uns, und wir haben gemerkt, dass unser Ansatz sehr ähnlich ist. Sie hat uns auch in einigen sehr praktischen Fragen weitergeholfen, zum Beispiel ob wir eine Versicherung für die Kinder abschliessen müssen. Unsere Philosophie ist eigentlich deckungsgleich.
 
J. K. Und konkret, wann geht es los?
T.B. Im Juni planen wir unser erstes Camp. Das haben wir gemeinsam beschlossen, aber physisch anwesend werden nur vier oder fünf der auswärtigen Betreuer.innen sein. Das Team wird von Camp zu Camp anders zusammengesetzt sein, je nachdem, wer Zeit hat und natürlich muss das Team auch nach Kriterien der Komplementarität zusammengestellt werden. Aber wir sind auf dem guten Weg und planen in regelmässigen online-Treffen alle Details. Nicht wirklich ein Detail ist die Finanzierung, dafür sind wir auf unsere Partner im Ausland angewiesen und dankbar für jede Unterstützung.

PS des Redaktors. Nach Relektüre des Interviews schien mir etwas zu fehlen und ich habe Tanja nachträglich gefragt, was sie und das einladende Team am meisten berührt habe. Hier ist die Antwort. Es hat sich gelohnt, die Frage zu stellen.
T.B.: Das kann ich gar nicht so kurz beantworten, denn es waren sehr viele, starke Eindrücke. Am stärksten beeindruckt hat uns wohl Katharina, eine junge Musiktherapeutin aus Uzhhorod. Sie hat zwei Kinder und ist im fünften Monat schwanger. Sie hat mit uns eine Stunde lang eine Musiklektion gemacht, das war ein tolles, verblüffendes Erlebnis. Katharina ist eine unerhört positive Person, sie arbeitet sehr professionell und sie hat eine wunderbare Ausstrahlung. Sie hat uns gezeigt, wie sie mit Kindern arbeitet, mit ganz einfachen Mitteln, dem Körper, der Stimme und einfachen Perkussionsinstrumenten, aber es war für uns faszinierend, was wir unter ihrer Anleitung dabei in der kurzen Zeit alles hervorbringen konnten. Es war wirklich sehr unerwartet. Katharina wird bei unserem ersten Camp dabei sein, anschliessend wird sie wahrscheinlich während einem Jahr mit ihrem Baby beschäftigt sein. Aber wir sind sehr froh, sie in unserem Team zu haben.
Was mich persönlich sonst noch sehr positiv beeindruckt hat, und das ist nicht das erste Mal in den letzten Monaten, das ist die Einsatzbereitschaft der jungen Generation. Es waren mehrere junge Frauen, so 20, 21 Jahre alt an unserem Seminar. Sie haben schon an vielen Projekten als Freiwillige teilgenommen, sie wollen unbedingt etwas für andere tun. Zum Beispiel haben wir in unser Programm eine halbe Stunde zum Austausch über unsere Träume eingeplant. Daraus sind dann eineinhalb Stunden geworden und es war ein tolles Erlebnis. Wir haben eine sehr starke positive Energie gespürt, niemand wollte den anderen etwas aufdrängen, alle waren sehr aufmerksam. Und diese jungen Frauen haben mich dabei besonders beeindruckt, sie haben 1000 Ideen und sind voller Phantasie. Wir hatten sehr deutlich das Gefühl, dass wir hier gemeinsam etwas Neues schaffen wollen.


 

Hilfslieferungen in die Ukraine
Unser neues Vorstandsmitglied Michael Roffler hat die Initiative ergriffen: Dieser Container gehört nun NeSTU und er dient dazu, wertvolle, vor allem medizinische Hilfsgüter so lange zwischenzulagern, bis ein Sammeltransport stattfindet. Kontakt: michael.roffler@nestu.org
Der Container steht in 8404 Winterthur, Zum Park 5.
Bild unten: Nach nur wenigen Tagen hat sich schon einiges angesammelt.



Horytsvit, Art-Camp von Base_UA im vergangenen März
Ein Bericht von Mariya Surzhenko, Waldorf-Pädagogin und Mitbegründerin der Art-Camps von Base_UA


Vom 12. bis 26. März 2024 nahmen 26 Jugendliche aus dem Osten und Süden der Ukraine am Horytsvit-Kunstcamp in Drahobrat in Transkarpatien teil.
Als wir uns die Fragebögen der Teilnehmer ansahen, erkannten wir einen traurigen Trend: Die Kinder haben nicht nur ihr Zuhause und ihre gewohnte Lebensweise verloren, sondern auch ihre Freunde und einen sicheren Raum um sich auszudrücken. Viele besuchen die Schule nur noch online, sie brauchen also dringend ein lebendiges soziales Umfeld, um die für das Erwachsenwerden erforderlichen Kompetenzen zu entwickeln. Wir sahen auch viele, die in Kleinstädten und Dörfern leben und ihre kreativen Aktivitäten nicht weiterentwickeln können, da es in diesen Gebieten keine ausserschulische Angebote gibt.
Horytsvit ist ein Projekt, das ein Umfeld für den Aufbau eines gesunden sozialen Lebens und einen sicheren Raum für die Entwicklung des kreativen Potenzials schafft.
14 Tage lang hatten die Jugendlichen die Möglichkeit, sowohl persönliche als auch kollektive Beziehungen aufzubauen. Es hat uns berührt zu sehen, wie sich Freundschaften zwischen jungen Menschen mit ähnlichen Ansichten und Geschichten bildeten, deren Lebenswege sich nur aufgrund des Camps gekreuzt hatten. Diese Begegnungen führten zu warmen und prägenden Abenden mit Gedichten ukrainischer Klassiker, in der vertrauensvollen Atmosphäre überwanden die Teilnehmer ihre Schüchternheit und trugen auch ihre eigenen Gedichte vor. Ein Gefühl der Verbundenheit und Gemeinschaft entstand auch während der Gesangsstunden, als die Teilnehmer ihre Lieblingsmusik teilten, Akkorde lernten und am Feuer sangen. Wer die Jugendlichen aufmerksam beobachtet kann sehen, wie aufrichtig sich die Gefühle der Jugendlichen im Moment der Harmonie öffnen, wie sie den aufgestauten Schmerz durch Klänge und Melodien durchleben können, wie die Hoffnung in ihren Stimmen widerhallt. Und der gemeinsame Klang bestätigt nur die Bedeutung und den Wert der Erfahrung, die diese Kinder durchgemacht haben.

Foto oben: Marharyta Kurbanova (Margo, links) und Mariya Surzhenko (Mascha), die Autorin dieses Texts, während des Camps in Drahobrat

In der Bildhauerwerkstatt hatten die Jugendlichen die Gelegenheit, die Vielfalt der Interaktion mit Holz, Ton, Gips und Wachs zu erleben. Am Ende des Camps entwickelte die Gruppe ein ganzes Projekt - die Planeten des Horizons-Systems! Hoch oben an der Decke konnte man Planeten sehen, die in der Luft eingefroren waren, in verschiedenen Farben und Texturen, manchmal ähnlich wie die Erde, manchmal wie der Saturn. Aber die Teilnehmer sagten: "Das ist der Planet der Liebe! Und dies ist der Planet mit dem Codenamen Brains!" Und das Unerwartetste an diesem Projekt kann man sehen, wenn man sich die Ecke ansieht, die die Decke mit der am weitesten entfernten Wand verbindet - dort haben die Teilnehmer eine Installation mit dem Namen "Black Hole" angebracht!
Die Teenager nutzten auch Bildtechniken, um ihre Gefühle und Fantasien auszudrücken. Sie erforschten Licht und Schatten durch Kohlezeichnung, lernten die Leichtigkeit der Berührung mit Tusche kennen und schufen beeindruckende, vielschichtige Landschaften durch die Lasurtechnik mit Aquarellfarben.
In 14 Tagen schufen die Teilnehmer zwei Performances! Mit Plastizität, Körpersprache, Lichteffekten und Musik gelang es ihnen, zwei unterschiedliche Stimmungen zu vermitteln und zwei verschiedene Geschichten zu verkörpern. Aber der größte Erfolg der Theateraktion war nicht das Produkt der Kreativität selbst, sondern ihre Schöpfer - lächelnd, voller Leben, beweglich, spielerisch, fantasievoll und mutig! Sie lernten ihre eigene schöpferische Kraft und die Kraft der kreativen Zusammenarbeit kennen...
Das Camp war auch voll von Erkundungen anderer innerer Orte. Es fanden viele tiefgründige Gespräche statt, denn gerade in diesem Alter suchen Teenager nach ihren Lebensrichtlinien, fragen sich, welchen Platz sie im bestehenden System einnehmen können und was sie der Welt Neues geben können, was sie besonders macht. In den Gesprächskreisen wurde darüber diskutiert, wie Vorurteile entstehen, welche Fallen und Gefahren sie mit sich bringen; wie ausgewogen das Leben im Moment ist und ob wir uns darum kümmern, alle Lebensbereiche, die uns wichtig sind, auszufüllen; wie wir uns selbst mit Mitgefühl behandeln und in Zeiten der Prüfung unterstützen können... Und das ist nur ein kleiner Teil der Themen, die in den Gesprächen zwischen den Teilnehmern angesprochen wurden. Neben den Gesprächen wurden die Sitzungen immer von praktischem Material begleitet, das die Jugendlichen in ihrem zukünftigen Leben anwenden können.

Die frühlingshaften Berge haben uns im März etwas mehr Winterstimmung beschert, so dass das Wandern im Schnee ein besonderes Vergnügen war: Die ernsten Teenager wurden plötzlich wieder zu Kindern und fuhren auf improvisierten Rodeln die steilen Hügel hinunter, immer und immer wieder, bis sie müde und nass, aber unglaublich glücklich waren. Die Ruhe und Stille der Berge heilte uns allein durch ihre Anwesenheit. Es genügte, einen kurzen Spaziergang zu machen, um zu spüren, wie das Herz leichter wurde und sich die Brust mit einem nährenden Atemzug freier Luft füllte.
Ich könnte das Camp noch in vielen Details beschreiben, aber es reicht, sich die Verabschiedung der Kinder vor der Abreise anzusehen, um zu verstehen, was für eine wertvolle Erfahrung wir alle zusammen gemacht haben. Die Erfahrung von Vertrauen wird sich in herzlichen Umarmungen einprägen, dem Mut, sensibel und ansprechbar zu sein, in Tränen, dem Erkennen des Werts von menschlichen Beziehungen und der Unbezahlbarkeit von Menschlichkeit in offenen Bekenntnissen.

 

Im Hochstamm-Obstgarten in Nyzhne Selyshche
Unsere Nachbarinnen und Freiwillige helfen uns dabei, den vielen jungen Apfelbäumen für die warme Jahreszeit eine kleine Starthilfe zu geben. Den Baumschutz während des Hackens in Form eines längs aufgeschlitzten PVC-Rohres müssen wir patentieren lassen. Einzelne Bäume haben bereits geblüht und wir werden voraussichtlich im Herbst schon einige wenige Äpfel ernten. 

Kontakt zu NeSTU:

Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans

E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43
Spendenkonto NeSTU:

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Jürgen Kräftner
Rundbrief 12.12.2023

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU


Die Adventszeit wird dieses Jahr in der Ukraine von einem schönen Wintereinbruch begleitet, worüber sich besonders die Kinder freuen. Um Kinder und Jugendliche in der Ukraine, und Initiativen zu deren Gunsten, geht es auch in diesem Rundbrief. NeSTU unterstützt verschiedene Projekte in der Ukraine, die sich in der Rehabilitierung der vom Krieg gezeichneten jungen Menschen engagieren. Mariya Surzhenko und Marharyta Kurbanova organisieren in Nyzhne Selyshche und hoch oben in den Karpaten Art-Camps. Wir haben mit ihnen über ihre Motivation und ihre Erfahrungen gesprochen, das vollständige Gespräch ist hier auf unserer Website zu finden. 

Die Tournee des Kammerchores Cantus ist vorbei und diesmal dürfen wir getrost sagen, es war toll. Das Organisationsteam ist erschöpft aber glücklich. Auch von den Chorsängerinnen und -sängern haben wir sehr positive Rückmeldungen bekommen. Andreas Müller-Crepon, bekannt als jahrzehntelanger Redaktor bei Radio DRS, hat für uns in dankenswerter Weise seine Eindrücke vom letzten Konzert der Tournee in Andelfingen schön zusammengefasst. Im kommenden Rundbrief veröffentlichen wir ein Interview von Monika Fischer (frühere Präsidentin von NeSTU) mit den beiden Hauptverantwortlichen der Tournee, Ursula Stamm und Krisztina Szakacs.
Eines der Konzerte wurde gefilmt und wir warten gespannt auf das Video. Als Vorgeschmack hier ein Ausschnitt auf Youtube.

Die Ukraine befindet sich im zweiten Kriegswinter. Für diejenigen, die nicht müde sind, davon zu hören und zu lesen, kommen in diesem Rundbrief ein paar persönliche Einschätzungen. Wir hätten natürlich auch gerne, dass der Krieg uns vergisst. Heute Morgen haben russische Hacker den grössten ukrainischen Mobilfunkanbieter im gesamten Land lahmgelegt, die Reparaturarbeiten werden unbestimmte Zeit in Anspruch nehmen. 

Drei Ankündigungen:
Fr 8. und Sa 9. März 2024 laden wir zum Workshop für traditionellen Gesang der Ukraine mit Anna Ochrimtschuk in Winterthur. Der Flyer ist hier. Die Anzahl der Teilnehmenden ist auf 15 Personen begrenzt!
Sa 16. März 2024 nachmittags, die Jahresversammlung von NeSTU in Luzern, Details kommen im nächsten Rundbrief.
Die Hudaki Village Band kommt im Frühjahr in die Schweiz. Es gibt noch freie Termine Anfang März und Anfang Juni. 
Redaktion: Jürgen Kräftner, NeSTU-Ukraine

Jugendliche zeichnen im Krieg
Dieses Selbstportrait des 15jährigen Stas (Stanislaw) aus der Region Mykolajiw ist Teil einer Grusskartenserie, die derzeit in Kyiv für NeSTU gedruckt und hoffentlich schon bald bei unserer Geschäftsstelle erhältlich sein wird. Stas hat an einem der Jugendlager von Base_UA in den Karpaten teilgenommen, mehr dazu im Interview mit Marharyta Kurbanova und Mariya Surzhenko weiter unten. 

NeSTU unterstützt die Art-Camps von Base_UA und weitere Initiativen, die Kindern und Jugendlichen in der Ukraine helfen, mit ihren Kriegstraumata zurechtzukommen. Dafür sind wir weiterhin auf Ihre finanzielle Unterstützung angewiesen und danken ganz herzlich für jede Spende!

Spendenkonto NeSTU:

Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2


Klang des Himmels, Stimmen der Erde: Abschied in Andelfingen

Eindrücke vom Schlusskonzert der CANTUS-Tournee
Die Schlange am Kircheneingang lässt vermuten, dass manche Fans des Kammerchors aus Uzhhorod ihren Konzertbesuch bis zum letzten Termin aufgespart haben. Jedenfalls lauscht eine volle Kirche den ernsten, klaren Worten von Lesja Levko, die auch die kurze Begrüssung von Emil Sokach übersetzt. Er macht klar: nichts kann so deutlich vom Leben und den Gefühlen der Menschen in der Ukraine erzählen wie diese Musik. Sein Programm löst das Versprechen ein, es umspannt geistliche, wie auch von der Volkskunst inspirierte Werke. Schlicht und mit zunehmender Kraft setzt Mykola Lysenkos Gebet für die Ukraine den Anfang, und schon mit dem Beginn des nächsten Stücks zeigt der Chor, was ein mystisches Pianissimo an Stimmung auslösen kann. Romantische und gemässigt moderne Tonsprache im Wechsel machen das Konzert zu einer Reise durch ganz unterschiedliche poetische Welten, von der Volkslied-inspirierten Sehnsucht aus Lesja Dychko’s Kantate „Roter Schneeball“ über ein sprachspielerisches, frisches Schnitterlied bis zu Taras Schevchenko’s schmerzlichem Heimweh bei Sonnenuntergang. Die Komponistin Bohdana Frolyak hat daraus eine ergreifende Elegie gestaltet, die ganz auf sentimentale Töne verzichtet und grosse Gestaltungskraft erfordert. Kein Problem für CANTUS, scheinbar. Genauso die Kulmination des Konzerts im vorletzten Stück, einer Psalmenvertonung von Viktoria Poleva, die Emil Sokach vom nachdenklichen, klagenden Beginn über ein schier endloses, meisterhaft gebändigtes Crescendo zum Notschrei voller Bitterkeit zu steigern weiss. „Herr, wie zahlreich sind meine Feinde“ - die Worte hallen nach, auch als die unendlich zarten Klangschattierungen von Valentin Silvestrov’s Gebet für die Ukraine den Bogen schliessen. Trotz aller Widrigkeiten bei der Vorbereitung der Tournee hat CANTUS auch diesmal Maßstäbe gesetzt, was den Chorklang und die Gestaltung angeht - dass aus dem Kammerchor immer wieder einzelne Solostimmen hervortreten und emotionale wie stimmliche Glanzlichter aufsetzen, überrascht da nicht wirklich. Klang des Himmels, Stimmen der Erde - ein Programm, dass es wert wäre, auch auf Tonträgern oder als Streaming-Angebot sein Publikum zu finden. Es besteht Suchtgefahr.
Andreas Müller-Crepon

Foto: Der Kammerchor Cantus beim Einsingen und Erproben der Akustik in der Kulturkirche Paulus in Basel



Alles stehen und liegen lassen, um Jugendlager in der Ukraine zu organisieren: Marharyta und Mariya von Base_UA
Ein Interview mit zwei jungen Frauen aus Donezk, die seit Sommer 2022 in den ukrainischen Karpaten Art-Camps für Kriegskinder organisieren. NeSTU unterstützt die Art-Camps der NGO Base_UA, die nach Kriegsbeginn von einigen Freiwilligen gegründet wurde. 
Dies ist nur der Beginn des Interviews. Der gesamte Text mit weiteren Fotos ist auf der Website von NeSTU zu finden.
Die in Berlin lebende ukrainische Schriftstellerin Katja Petrowskaja hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eindrücklich ihre Begegnung mit Marharyta Kurbanova geschildert, hier als PDF nachzulesen.

Foto: Marharyta (Margo), links mit dem Fotoapparat, rechts von ihr Mariya (Mascha).

Jürgen Kräftner: Wie kam es dazu, dass Ihr beide seit Kriegsbeginn in der Ukraine schon sieben Jugendlager organisiert habt?
Marharyta Kurbanova: Ich stamme aus der Stadt Donezk, seit 2014 ist sie von Russland besetzt. Von 2012 bis 2017 habe ich an der Kiever Hochschule für Kunst Karpenko-Kary studiert, anschliessend bin ich nach Deutschland gegangen und studiere seither an der Filmhochschule Babelsberg in Potsdam.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der russischen Truppen im Februar 2022 haben wir mit meinem Mann Anton damit begonnen, Menschen in der Ukraine bei der Flucht zu helfen, humanitäre Hilfe zu verteilen, einfach das zu tun, was die Leute damals am dringendsten brauchten. Anton hat schon bald seinen Jugendfreund Mischa wiedergefunden, dann kam noch Patrick von der Organisation LeaveNoOneBehind dazu. Gemeinsam haben sie beschlossen, eine NGO zu gründen und haben ihr den Namen Base_UA gegeben. Mein Job war damals, diese Arbeit mit kurzen Videos zu dokumentieren. Einmal, als wir Leuten in Lissitschansk (Oblast Luhansk) bei der Flucht geholfen haben, das war im Juni 2022, bin ich einem zwölfjährigen Mädchen begegnet. Sie kam jeden Tag mit ihrem Hund zu unserem Stützpunkt, wo humanitäre Hilfe verteilt wurde. Von dort wurden auch die fluchtwilligen Menschen abgeholt. Sie kam ganz allein, und wir haben begonnen miteinander zu spielen und sprachen über das Leben in dieser Geisterstadt. Dort gab es damals schon keine Telefonverbindung mehr, Strom- und Wasserversorgung waren auch zusammengebrochen. Es gab auch keine Läden mit Lebensmitteln mehr. Alles war zerbombt. Und ich fragte sie, wie es denn kam, dass sie ganz alleine durch diese Stadt lief. Sie kam zu unserem Stützpunkt um mit den Kindern zu spielen, die dort im Keller lebten. Wir sind dann unter Artilleriebeschuss geraten. Wir waren in unserem Stützpunkt und es gab einen direkten Beschuss. Alle Leute, die sich dort aufhielten, waren sehr erschrocken, und Mascha, so hiess dieses Mädchen, auch. Sie hat sich an meine Hand geklammert und hat mich gebeten, dass wir sie aus der Stadt wegbringen. Ich habe begriffen, dass das eine Kindesentführung ist, und dass wir diese Verantwortung nicht tragen können. Ich war damals in Begleitung eines  Notfallsanitäters, Kevin, und gemeinsam haben wir beschlossen noch eine Woche in dem Stützpunkt zu bleiben und das Mädchen dann mitzunehmen. Denn nachdem es schon einen Beschuss gegeben hatte, war klar, dass weitere folgen würden. Wir würden es uns nicht verzeihen, wenn Mascha beim nächsten Beschuss ums Leben käme. Wir bringen sie weg, und falls die Mutter mit der Flucht nicht einverstanden wäre, könnten wir sie immer noch zurückbringen. Wir haben unsere mobile Einsatzgruppe, die in der Stadt Lebensmittel verteilte, über unseren internen Funkverkehr gebeten, der Mutter mitzuteilen, dass wir Mascha mitgenommen hätten und dass es ihr gut ginge. Und dass wir dem Rest der Familie auch bei der Flucht helfen könnten. 
 

Aber die Mutter hat gesagt, gebt mir mein Kind zurück und wir mussten Anwälte einschalten. Sie wollte nicht flüchten, denn sie hatte noch ein kleines Kind, das behindert war. Die Polizei sagte uns, ihr müsst Mascha zurückbringen, und die Soldaten sagten «tut das nicht», denn die Stadt wird bald von Russen besetzt. Am Ende hat Mascha ihre Mutter zur Flucht überreden können. Jetzt leben sie gemeinsam in einem Dorf in der Nähe von Lviv und wir sind regelmässig in Kontakt. 

Nach diesem Erlebnis mit Mascha sind wurde uns klar, dass wir uns gezielt für Kriegskinder einsetzen wollen, und die erste Idee war, Art-Camps zu organisieren. Das lag auf der Hand, denn sowohl mein Mann Anton als auch ich sind Filmemacher und Kunst ist für uns wichtig. 

Das war noch im Juni 2022. Ich habe dann gleich meine beste Freundin Mariya angerufen, wir kennen uns seit der 7. Schulklasse. Mariya ist Pädagogin. Ich fühlte, dass wir beide als Tandem für dieses Projekt prädestiniert waren. Sie war einverstanden und so haben wir gemeinsam überlegt, wie ein ideale Jugendlager ablaufen würde, an dem wir selber in diesem Alter gerne teilgenommen hätten.
Der Rest des Interviews mit weiteren Fotos ist hier zu finden


Ein paar Gedanken nach bald 20 Monaten Krieg

Fotos oben und unten: Die Stadt Maryinka, 30 km westlich von Donezk, in Aufnahmen von 2014 und 2023. 2019 lebten hier noch knapp 10'000 Einwohner. 


Schon im vergangenen Sommer und spätestens im Herbst mussten wir uns mit der schrecklichen Vorstellung abfinden, dass dieser Krieg noch lange andauern wird, wahrscheinlich Jahre. Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Waleri Saluschny (er ist in der Ukraine sehr beliebt), gab in einem Interview im Oktober zu, dass er die russische Hartnäckigkeit unterschätzt habe, grenzenlos Infanteriesoldaten in Angriffen zu opfern, die hiezulande als "Fleischangriffe" bezeichnet werden. Die Verluste an Menschenleben sind enorm, aber das scheint keine Rolle zu spielen. In der Nähe der Stadt Awdijiwka, unweit von Donezk, sollen die Russen im Oktober und November täglich mehr als tausend Mann verloren haben. Neben Schwerverbrechern, die aus den Gefängnissen an die Front gebracht und nach sechs Monaten Kriegsdienst begnadigt werden, gibt es auch eine unerschöpfliche Zahl armer Kerle aus entfernten russischen Provinzen, die davon träumen, ihre Schulden mit dem Sold der Armee zu begleichen. Für viele von ihnen erweist sich diese Entscheidung als fatal. Ich glaube, dass Saluschny mit diesem Interview vor allem seine Soldaten vor dem verantwortungslosen Wunschdenken von Politikern und Medien sowohl in der Ukraine als auch im Ausland schützen wollte. Die Erwartungen an die "große Gegenoffensive" waren offensichtlich zu hoch und ignorierten die Tatsache, dass sich die Russen bereits seit fast einem Jahr auf sie vorbereiteten.
Es ist leider weiterhin so, dass die westlichen Alliierten der Ukraine gerade soviel geben, dass sie nicht aufgeben muss, aber nicht genug, um die Russen in absehbarer Zeit aus den besetzten Gebieten zu vertreiben. Und während alle Augen auf den Nahen Osten gewandt sind, sterben bei uns weiter jeden Tag Menschen an der Front und unter dem Raketenbeschuss auch weit im Hinterland.

Hier der Link zum Interview mit Saluschny im Economist (auf Englisch)

10 Jahre nach dem Maidan
In diesen Tagen erinnern wir uns in der Ukraine an den Beginn des Maidan vor zehn Jahren. Dieser dreimonatige Aufstand war das grosse (und schmerzhafte) Aufwachen der ukrainische Gesellschaft, ein kollektiver Bewusstseinswandel. Am Ende floh der Präsident-Diktator nach Russland; dieses besetzte daraufhin die Krim und begann  den Krieg im Donbas. Wer den Maidan in seiner ganzen Komplexität nicht versteht, kann auch den heutigen Krieg nicht verstehen. Die Schwierigkeit für uns Westeuropäer besteht darin, dass diese Komplexität alle Schemas sprengt, nach denen wir die jüngere Geschichte der Einfachheit halber gerne betrachten.
Ich habe Freunde, die weiterhin davon überzeugt sind, dass der ukrainische Nationalismus die Ursache für alle Probleme in unserem Teil der Welt ist.

Diejenigen unter uns (hier in der Ukraine), die die westlichen Medien verfolgen, hören natürlich die Stimmen, die zu Verhandlungen aufrufen. Doch ohne die Befreiung der besetzten Gebiete ist so ein Vorschlag höchstens ein Achselzucken wert. Sollte die Unterstützung des Westens deutlich abnehmen (z.B. nach einer Wiederwahl von Donald Trump), wird dies wahrscheinlich zu einem faulen Waffenstillstand wie während der Besetzung des Donbas von 2016 bis 2022 führen, aber nicht zu einem Frieden. Dieser wird noch mehr Leid für die Zivilbevölkerung mit sich bringen, die besetzten Gebiete werden sich noch mehr in rechts- und gesetzlose Territorien verwandeln, in denen die Bevölkerung der Willkür von Kriminellen ausgeliefert sein wird, so wie es im besetzten Donbas schon seit 2014 ist. Der russische Staatshaushalt sieht für 2024 Ausgaben für die Armee von über 100 Milliarden Franken vor, ein Drittel des Gesamtbudgets. Was eine weitere Kapitulation der demokratischen Länder vor der brachialen Gewalt eines mittelalterlichen Kriegsherren in anderen Teilen der Welt bedeuten könnte, darüber will ich hier nicht spekulieren.

Das Schwarze Meer
Ist Euch aufgefallen, dass kaum noch jemand über eine Hungersnot in Afrika spricht, die durch den Stopp der Getreideexporte der Ukraine verursacht werden könnte, und dass auch das Getreideabkommen mit Russland kein Thema mehr ist? Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein Hauptgrund ist, dass die ukrainische Armee der russischen Marine in den letzten Monaten so grosse Verluste zugefügt hat, dass diese das Schwarze Meer nicht mehr kontrolliert, zumindest nicht die Gebiete in der Nähe der rumänischen und bulgarischen Küste. Das ist für unsere südlichen Regionen (Odessa, Mykolajiw) und sogar die gesamte Ukraine sehr wichtig, da die russische Marine die Fähigkeit verloren hat, Raketen aus dem Schwarzen Meer abzufeuern. Und für den Getreideexport ist es sehr wichtig, da nun ein Schifffahrtskorridor nahe der rumänischen und bulgarischen Küste gesichert wurde und Handelsschiffe wieder ukrainischen Weizen und Mais über den Bosporus auf den Weltmarkt transportieren können. Dennoch soll demnächst auch in Transkarpatien ein Getreideterminal gebaut werden, um den Landtransport effizienter zu gestalten. Vor ein paar Wochen fuhr ein Getreideschiff im Schwarzen Meer auf eine Mine, was die Versicherungsprämien sprunghaft ansteigen ließ, und das hat natürlich Auswirkungen auf die Getreidepreise.
Gleichzeitig sieht man an der Grenze zu Rumänien lange Schlangen von Lastwagen, die mit Agrarprodukten beladen sind.

Ein langer Krieg
Natürlich wollte anfangs niemand an einen langen Krieg denken, eigentlich wollten wir überhaupt nicht an Krieg denken. Nach der Ausrüstung und den Vorräten zu urteilen, die die russischen Elitetruppen beim Vormarsch auf Kyiw mit sich führten, dachten Putin und seine Handlanger, dass sie die ukrainische Regierung nach wenigen Tagen durch ein Marionettenregime ersetzen würden. Umgekehrt würde ich das, was nach dem 24. Februar 2022 in unseren Köpfen vorging, nicht als "Denken" bezeichnen. Die Männer und Frauen, die sich Ende Februar 2022 freiwillig zur Armee meldeten, dachten auf keinen Fall daran, auch fast zwei Jahre später noch an der Front zu stehen. Viele von ihnen starben oder wurden verstümmelt, andere wurden von den Russen inhaftiert. Wir machen uns grosse Sorgen um unseren Freund Maksym Butkevych, einen Menschenrechtsverteidiger, der seit mehr als 17 Monaten in Kriegsgefangenschaft ist. Nachdem er im August vor dem Berufungsgericht stand, verschwand er monatelang. Vor ein paar Tagen erhielt sein Anwalt endlich den Bescheid, dass Maksym in ein Gefängnis in einem Provinzort von Luhansk überstellt wurde, gerade gestern konnte er sogar mit ihm sprechen.
Es gibt Tausende ukrainische Kriegsgefangene. Seit Beginn des Krieges wurden 2000 von ihnen ausgetauscht, aber seit dem Sommer gab es keinen Austausch mehr. Diejenigen, die freigelassen wurden, berichten von Misshandlungen, Folter und einem Mangel an allem. Laut dem ukrainischen Ombudsman wurden 28'000 ukrainische Zivilpersonen ebenfalls nach Russland verschleppt.

Andere Realitäten
Es gibt auch die anderen, diejenigen, die sich nicht vorstellen konnten, ein liberales Gesellschaftsmodell, die Freiheit oder ganz einfach den Ort, an dem ihre Familien leben und Vorfahren lebten, zu verteidigen. Die Dörfer in Transkarpatien sind von ihrer männlichen Bevölkerung entleert. In dieser Region mit ihrer langen Tradition der saisonalen Migration hatten viele den Braten gerochen und waren vor dem Krieg in eines der Nachbarländer ausgereist, in denen es chronisch an Arbeitskräften mangelt. Im Laufe der Monate liessen viele von ihnen ihre Familien nachkommen und machten von der Möglichkeit Gebrauch, dass das Aufenthaltsrecht für Ukrainer während des Krieges vereinfacht wurde. Viele «einfachere» Menschen können sich aber auch nicht vorstellen, in einem fremden Land zu leben, und machen daher nach dem traditionellen Muster weiter: Die Männer arbeiten im Ausland, die Frauen besuchen sie ab und zu und bringen etwas Geld nach Hause. Aber auch hier hat niemand damit gerechnet, dass der Krieg jahrelang dauern wird. Die Männer wollen nicht zurückkehren, da sie in die Armee eingezogen werden, sobald sie an der Grenze auftauchen. Der soziale Preis dieser erzwungenen Emigration und der Trennungen ist zwangsläufig sehr hoch. 
Auch im zweiten Jahr des Krieges haben sich viele Männer mit allen möglichen Tricks aus dem Staub gemacht. Meinem subjektiven Eindruck nach ist es eher die Sache von Männern aus anderen Regionen, Tausende von Euro an Schlepper oder korrupte Grenzbeamte zu zahlen, während die Männer hier fast immer einen Weg mit geringerem Risiko finden.
Es ist schwer, sich vorzustellen, welche Folgen das alles für unsere Region hat. Werden die Flüchtlinge aus dem Osten hier bleiben, und vor allem welche von ihnen? Als ich kürzlich durch Uzhhorod fuhr, war ich sanft schockiert über all die Teslas und die neuen Luxusboutiquen. Die Mieten haben sich verdoppelt. Soziologische Studien belegen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich seit Beginn des Krieges in der gesamten Ukraine stark zugenommen hat. 
Eine andere Seite der Migration: Unsere direkten Nachbarn sind in die Slowakei gezogen, der Ehemann vor dem Krieg zum Arbeiten, seine Frau und ihr 13jähriger Sohn seit einem Jahr. Sie leiden unter dem anti-ukrainischen Rassismus der Slowaken und wollen so schnell wie möglich zurückkehren. Der Junge, der sehr nett und gesellig ist, hat in einem Jahr keine Freunde unter seinen Klassenkameraden gefunden und leidet stattdessen unter Mobbing aufgrund seiner Herkunft.

Zurück zum Winter
Die russische Armee bombardiert die ukrainischen Städte jeden Tag und vor allem jede Nacht. Die Alarmsirenen heulen jeden Tag, auch in unserer Region. Der Unterschied besteht darin, dass in Städten wie Cherson, Saporischschja und vielen anderen die Einschläge, Zerstörungen, Toten und Verletzten ebenfalls täglich sind, während wir verschont bleiben. In einem Dorf im Nordosten wurden im Oktober über 50 Zivilisten während einer Beerdigung getötet. Seit einigen Monaten beobachten wir jedoch, dass die Russen vor allem iranische Drohnen für ihre Angriffe verwenden. Die viel teureren Raketen setzen sie nicht ein, deren Anzahl und die Produktionskapazitäten sind begrenzt. Es gibt eine durchaus plausible Befürchtung, dass dies eine strategische Entscheidung ist (Schätzungen zufolge besitzen die Russen derzeit fast 900 ballistische Raketen aller Art), um massive Angriffe auf die Energieinfrastruktur zu starten, sobald die Kälte kommt. Diesmal wird es für niemanden eine Überraschung sein. Bei uns in Transkarpatien wurden die Schulen angewiesen, die Warnungen bloss nicht zu ignorieren, denn Geheimdienstberichten zufolge soll unsere Region dieses Mal nicht verschont bleiben.

 

Foto oben: Oleksandr Glyadyelov, Region Cherson kurz nach der Befreiung im Dezember 2022

Was mir sonst so aufgefallen ist
Hier, völlig chaotisch, verschiedene Fakten und subjektive Eindrücke
Die Familienmitglieder einiger Soldaten protestieren öffentlich und fordern ihre Demobilisierung nach bald zwei Jahren an der Front. Das hat nichts mit Kapitulation zu tun, eher mit einer gerechten Verteilung der Kriegslast. Die Aushebung neuer Soldaten wird immer schwieriger, immer wieder kommt es zu Übergriffen der Feldjäger, entsprechende Videos werden in den sozialen Medien rasch verbreitet.
Eine Freundin (eigentlich ein Familienmitglied) kehrte aus Tschechien zurück, wo sie sich in einer Fabrik ausgebeutet fühlte, und fand zu Hause (in der Nähe von Rivne, im Nordwesten der Ukraine) einen gut bezahlten Job in einem neuen Unternehmen, das Artilleriegeschosse herstellt. Das ist natürlich jetzt ein Produkt, das voll im Trend liegt. Ein anderer Freund, der uns beim Unterhalt unsere Maschinen für die Apfelsaftproduktion hilft, stellt an seinen Wochenenden Drohnen aus Karton her, die für Radargeräte unsichtbar sind und lautlos Sprengstoff über 30 km transportieren (wenn alles gut geht).
Und auch eine unserer Realitäten: Seit Beginn des Jahres 2023 wurde in der Ukraine eine Rekordzahl kleiner Privatunternehmen gegründet. Überraschenderweise wächst auch die Wirtschaft mehr als prognostiziert, 6 anstelle der erwarteten 4 Prozent. Viele Unternehmen sind aus den Kriegsgebieten in die Zentral- und Westukraine geflüchtet und haben sich besser als erwartet zurechtgefunden.

Der Staatshaushalt für 2024 wurde von der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, verabschiedet. Fast 50 % der Mittel werden für die Kosten des Krieges, der Armee und der Rüstung aufgewendet. Es ist kein Strassenbau vorgesehen, das war Zelenskys Lieblingsprojekt vor dem Krieg. Es stimmt, dass es dadurch schwierig wird, bestimmte Strecken als "Strasse" zu bezeichnen, da man für eine Fahrt von einem Dorf ins andere oft die dreifache Zeit benötigt.

Der Kampf gegen Korruption geht auch während des Krieges weiter und ich würde sagen, dass er allmählich an Schwung gewinnt. Ende November wurde der Leiter des staatlichen Komitees für die Digitalisierung der Armee verhaftet, gemeinsam mit einem Komplizen sollen sie fast 1,5 Millionen Euro gestohlen und gleichzeitig die Digitalisierung stark gebremst haben. Wie viele Tote sie auf dem Gewissen haben, bleibt unberechenbar. Es ist jedoch festzustellen, dass wieder einmal Personen, die dem innersten Machtzirkel in Kyiv sehr nahe stehen, inhaftiert wurden, und ja, das ist ein gutes Zeichen.

Zum Eine etwas überraschende Kurzmeldung: Im Norden der Ukraine (Region Sumy) gibt es einen inoffiziellen Übergang zwischen Russland und der Ukraine, der es Ukrainerinnen und Ukrainern aus den besetzten Gebieten ermöglicht, in die Ukraine zurückzukehren, siehe den Artikel in der NYT:
https://www.nytimes.com/2023/11/16/world/europe/russia-ukraine-war-border-crossing.html

Eines der seriösesten Medien in der Ukraine hat sich mit der Demografie während und nach dem Krieg befasst (auf Englisch):
https://zn.ua/eng/birth-rate-in-ukraine-what-has-changed-and-what-will-change-after-the-victory.html

Und auch auf Englisch, das Gespräch des unersetzlichen Historikers Timothy Snyder (u.a. Autor von Bloodlands) mit unserer Freundin Nataliya Gumenyuk über alle brennenden Fragen rund um die Ukraine, als Podcast:
https://soundcloud.com/laboratoriya-19057531/snayder-pro-fashistsku-rosyu-genotsid-yaderniy-blef-kremlya-ta-ukranske-rozumnnya-svobodi

In die Ukraine reisen
Seit ein paar Tagen wurde es einfacher, zu uns zu kommen. Die ukrainischen Eisenbahnen profitieren offensichtlich von der Tatsache, dass die zivile Luftfahrt seit Beginn des Krieges stillsteht, und so gibt es seit vergangener Woche mehrere neue Verbindungen mit dem Westen: Direkte Züge von Kyiv - Chop - Wien und Chop - Prag. Der Grenzübertritt mit dem Zug ist hundertmal angenehmer und einfacher als mit dem Auto, wo man immer der Willkür der ungarischen und slowakischen Zollbeamten ausgeliefert ist. 
 

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Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6, 6370 Stans

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Jürgen Kräftner
Rundbrief 13.10.2023

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Es sind noch wenige Tage bis zur Tournee des Kammerchors CANTUS in der Schweiz. Bereits am Donnerstagabend 19.10. wird der Chor in Melchtal eintreffen, am Freitag startet die Tournee mit dem Chorworkshop. Das erste Konzert erklingt am Sonntag in Stans. Die Tourneedaten sind hier zu finden. Wir hoffen auf zahlreiches Publikum und freuen uns über jede Hilfe beim Werben für die Konzerte. Mehr über CANTUS ist auf unserer Website zu erfahren.

Samstag, 28. Oktober, 18 - 21 Uhr, Eröffnung der Ausstellung Vidkrytky im Freiwerk Basel. Kinder, die vom Krieg Russlands gegen die Ukraine betroffen sind, gestalten ihre individuellen Postkarten. Zum Flyer (PDF)
Die drei ukrainischen Künstler.innen, die das Projekt initiiert haben, werden anwesend sein, auch mehrere Vorstandsmitglieder von NeSTU werden teilnehmen. Hier nochmals der Bericht vom letzten Einsatz in Kramatorsk. Wir wollen den Anlass auch nutzen, um über die Art-Camps in Nyzhne Selyshche zu informieren.
Dauer der Ausstellung: 28.10. - 28.11.2023
Öffnungszeiten
Mittwoch - Freitag: 14-20h
Samstag: 10-20h
Sonntag: 10-18 Uhr

Verein Freiwerk, Basel
Elsässerstrasse 215 | 4056

Ein Lesetipp: Der polnischen Schriftsteller Szczepan Twardoch hat viel Zeit im ukrainischen Kriegsgebiet verbracht und zitiert in seinem Essay einen der Soldaten, mit denen er gesprochen hat: Dieser Krieg ist für immer (PDF).

Dieser Rundbrief ist in erster Linie einem Interview mit der Leiterin des Medizinischen Hilfskomitees Transkarpatien CAMZ gewidmet. Nataliya Kabatsiy und ihr Team leisten eine kolossale Arbeit und wir sind froh über unsere Kollaboration und Freundschaft.
Verfasser dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, NeSTU und Longo mai Ukraine.
 

Die Eröffnung der Ausstellung am 28.10. im Basler Freiwerk wird auch musikalisch begleitet. Ab 22 Uhr treten zwei Musiker aus dem seit 2014 besetzten Donezk auf. Hier deren Selbstpräsentation:
Wir sind Pavel und Anton, Musiker und DJs aus Donezk. Unsere Geschichte begann damit, dass wir in den besetzten Gebieten illegale Raves namens "PRIZMA" organisierten. Dort schufen wir einzigartige musikalische Welten, in denen die Menschen die harten Zeiten vergessen konnten. Doch der Einmarsch Russlands in die Ukraine zwang uns, unsere Heimat zu verlassen, und wir verloren unser Zuhause und die Möglichkeit, an unserem Lieblingsort Musik zu machen.
Heute tragen wir unser musikalisches Erbe durch die monatliche Sendung "Sound of BOCTOK" weiter, die vom Label VOSTOK unter Mitwirkung von Anton auf RBL Radio organisiert wird. Unser Ziel ist es, die Kulturszene der Ostukraine zu präsentieren und Künstler aus dieser Industrieregion trotz ihrer erzwungenen Umsiedlung in verschiedene Teile der Welt zu vereinen.
Die Teilnahme an dieser Ausstellung ist unsere Art, unsere Geschichte mit anderen zu teilen und auf eine strahlende Zukunft zu hoffen, die sicherlich eines Tages kommen wird, wenn unser Heimatland seinen Frieden wiedergefunden hat und die Musik unsere Häuser wieder mit ihrem Klang erfüllt.


Vielfältiges Erbe und bedrängte Gegenwart
Der Kammerchor Cantus auf Tournee in der Schweiz, 22. Oktober - 5. November

Dirigent Emil Sokach zum diesjährigen Programm:
Es sind die Gedanken, Gefühle und Erfahrungen aus eintausend Jahren, die sich in der Auswahl dieser Musikstücke verdichten. Die Geschichte der Ukraine ist geprägt von Kampf und Sehnsucht, von Begeisterung und Verzweiflung sowie von Niederlagen und Siegen. Aus den tiefsten Empfindungen der Menschen wuchs so eine reiche und vielschichtige Kulturlandschaft. In einer historischen Retrospektive kann so die Nationenbildung der Ukraine verstanden werden.
Immer bewegte die Menschen der Glaube an eine höhere Gerechtigkeit dazu, sich im Gebet an Gott zu wenden, Segen zu empfangen und im Glauben Trost zu suchen. Die geistliche Musik, von einer Generation an die nächste weitergegeben, enthält unermessliche Schätze, ganz wie die uralte sakrale Architektur der Ukraine.
Die Frauen und Männer in der Ukraine sangen seit jeher von Liebe und Freundschaft, von der Liebe zum Vaterland, zum Gedenken an ihre Helden. Von vielen dieser Lieder, mittlerweile tief verankert im Gedächtnis des Volkes, wissen wir nichts über ihre Herkunft oder Entstehung. Sie stammen aus längst vergangenen Epochen der Geschichte, doch wenn wir sie heute singen, beweisen sie ihren Wert auch in modernen Arrangements.

Unsere durch den Krieg verdunkelte Gegenwart, die vom Kampf um Unabhängigkeit, Menschenrechte und Freiheit geprägt ist, widerspiegelt sich in der Palette der Stimmungen dieser Stücke. Heute ist die Ukraine ein vielstimmiges Gebet, eine wiederbelebte Erinnerung, ein Glaube an das Beste und Hellste für jeden Menschen mit guten Absichten.
Spüren Sie mit uns in jedem Stück, in jeder Schwingung den „Klang des Himmels, die Stimmen der Erde“.
Tourneeflyer


Interview mit Nataliya Kabatsiy
Nataliya Kabatsiy, 43, für Freunde und Bekannte Natascha, ist Gründungs- und Vorstandsmitglied von NeSTU. Sie ist Philologin und hat Masterabschlüsse in Politikwissenschaften und Öffentlichem Gesundheitswesen. Seit über 20 Jahren leitet sie das Transkarpatische Komitee für Medizinische Hilfe CAMZ. Diese unabhängige ONG hat im Laufe der Zeit zahlreiche Projekte im regionalen Gesundheitswesen realisiert und besonders in der Betreuung von Menschen mit Behinderung eine Vorreiterrolle für die ganze Ukraine eingenommen. Dabei wird sie vom Schweizer Verein Parasolka massgeblich unterstützt.
Dank dieser vielschichtigen Erfahrung war das CAMZ zu Kriegsbeginn - auch mit der Unterstützung von NeSTU - in der Lage, dort zu helfen, wo es am dringendsten nötig war. Ich habe Natascha in ihrem Büro in Uzhhorod Anfang Oktober über ihre aktuellen Projekte und ihre Einschätzung zur Arbeit der internationalen Organisationen befragt.


 
JK: Bitte erzähle mir etwas über die Arbeit des CAMZ im zweiten Kriegsjahr.
 
NK: Ja, womit sollen wir anfangen. Seit einiger Zeit läuft ein umfangreiches Projekt zur Unterstützung für Schwangere in Transkarpatien. Viele Frauen und besonders Schwangere leiden unter Stress durch den Krieg, Vertreibung, ihre Männer sind im Krieg etc., sie brauchen psychologische Betreuung.
 
Und wir unterstützen zwei Partnerorganisationen in Uzhhorod und in Jasinya (ganz im Osten Transkarpatiens gelegen). Seit dem vergangenen Juni betreuen sie regelmässig Kinder von 8 bis 14 Jahren. Die Betreuung richtet sich bewusst sowohl an Kinder aus geflüchteten Familien und an Einheimische, damit sich niemand diskriminiert fühlt. Ausserdem fördert dies die Integration der Kinder aus den Kriegsgebieten in Transkarpatien. Es sind lokale Initiativen in den beiden Orten, die diese Projekte gestartet haben. Wir als CAMZ mit unserer Erfahrung und unseren vielen Kontakten im Ausland greifen diesen jungen Gruppierungen unter die Arme. Aber wir wollen natürlich, dass sie so schnell wie möglich unabhängig werden und den Kontakt mit ausländischen Geldgebern selber pflegen.
Die Anschubfinanzierung von NeSTU war hier sehr nützlich. Inzwischen hat sich die deutsche Sektion von Terre des Hommes längerfristig engagiert.
https://www.tdh.de/was-wir-tun/projekte/europa/ukraine/
 
Wir wollen keine Projektfabrik werden, immer mehr Mitarbeiterinnen einstellen und immer mehr Projekte leiten und verwalten. Besser, wir helfen jungen Initiativen dabei, Partnerorganisationen im Ausland zu finden, die sie direkt unterstützen. Wir helfen ihnen am Anfang in der Organisation und vor allem in der Kommunikation mit den internationalen Geldgebern, aber mit dem Ziel, dass sie in Zukunft völlig selbständig arbeiten können. Sie müssen lernen, zuverlässig Rechenschaft über die Verwendung der Gelder abzuliefern. Und sie müssen sich auf eine langfristige Organisationsform einstellen.
Eines Tages werden wir unser Land wieder aufbauen müssen, und dann brauchen wir unbedingt all diese lokalen, unabhängigen Initiativen.
 
Ausserdem verteilen wir Medikamente und Lebensmittel in den Frontregionen. Dafür arbeiten wir systematisch mit lokalen Organisationen. Wir haben im Osten der Ukraine keine eigenen Mitarbeiter.
 
 

JK: Wo und mit wem arbeitet ihr in diesen Gebieten?
 
NK: Diesen Monat haben wir in Zaporizhia gearbeitet, nächsten Monat liefern wir Hilfsgüter nach Cherson und Chernihiv. Anschliessend kommen Charkiw und Donetsk an die Reihe. In jeder Region haben wir eine oder mehrere Partnerorganisationen, denen wir die Verteilung anvertrauen. Für die Medikamente sind das auch die grossen Spitäler und zum Beispiel in Zaporizhia haben wir einen guten Kontakt zur städtischen Verwaltung, auch in Mykolajiw.
 
JK: Die Stadtverwaltung von Zaporizhia hat einen guten Ruf, sie hat auch viel Wohnraum für geflüchtete Familien zu Verfügung gestellt.
 
NK: Ja, unser Kontakt ist ausgezeichnet, die Stadtverwaltung hat dort auch fast von Anfang an Lebensmittel an Bedürftige verteilt. In Charkiw ist das anders, aber wir haben dort zumindest drei nichtstaatliche Organisationen, mit denen wir vertrauensvoll zusammenarbeiten. So können wir es uns ersparen, eigene Leute vor Ort zu entsenden.
 
JK: Wo kommen die Lebensmittel her?
 
NK: Wir schicken den lokalen Organisationen Geld und sie kaufen die Lebensmittel vor Ort und verteilen sie. In den meisten Fällen wäre es sinnlos, Lebensmittel weit zu transportieren. Wir bekommen jeweils detaillierte Abrechnungen, auch über die Empfänger.
 
JK: Aus dem Ausland kommt nichts mehr?
 
NK: Aus dem Ausland kommen weiterhin bestimmte Medikamente, medizinisches Material und Ausrüstung, Trockenmilchpräparate, ab und zu bekommen wir ein paar Paletten hochwertiger Babynahrung aus Frankreich.
 
Wir sehen jetzt, dass die meisten Spitäler überfüllt und überfordert sind. In den meisten Spitälern werden nun schwerverletzte Soldaten und Zivilisten behandelt, aber sie sind eigentlich dafür nicht ausgerüstet, z.B. haben sie keine Beatmungsgeräte und andere Ausrüstung für Intensivstationen. Unser Freund Jacques Duplessy, ein Mitbegründer unserer Organisation, sammelt in Frankreich medizinische Ausrüstung in grossem Stil und schickt regelmässig volle Sattelschlepper hierher.
 
Und dann betreuen wir drei Flüchtlingsunterkünfte in der Region. Die grösste ist in Tyachiv, dort leben jetzt 63 Personen. Eigentlich könnten dort bis zu 90 Personen leben, und so war es am Anfang auch, aber jetzt sind einige Leute in private Wohnungen in die Stadt umgezogen und andere haben die Region verlassen. Das hat auch Vorteile, denn wir haben nun separate Zimmer für jede Familie, es gibt zwei Zimmer in denen die Kinder spielen können und einen Aufenthaltsraum zum Lesen oder Fernsehen für die Erwachsenen. Vor kurzem haben wir das Dach komplett renoviert und mit Solarzellen ausgestattet. Das Flüchtlingsheim in Nyzhne Selyshche bekommt auch Solarzellen, um es bei den nächsten Stromausfällen etwas autonomer zu machen.
 

Foto oben: Genia Melesh ist Juristin beim CAMZ. Aber wenn Rollstühle verschickt werden, hilft sie auch mal im Lager.

JK: Welche Menschen leben jetzt in diesen Flüchtlingsunterkünften?
 
NK: Dort leben die sozial schwächsten Teile der Bevölkerung, Menschen die nicht arbeiten können, die keine wohlhabenden Angehörigen haben, Menschen, die aus eigener Kraft nicht aus der Not kommen.
 
JK: Was bietet ihr diesen Leuten ausser der Unterkunft sonst noch?
 
NK: Zu unserem Team gehören eine Ärztin und eine Juristin, die die Personen in den Notunterkünften unterstützen. Unsere Ärztin Tanja berät die einheimischen Krankenschwestern und Ärzte, unsere Juristin Genia hilft den Geflüchteten, damit sie die ihnen zustehende Unterstützung vom Staat bekommen. Die alten Leute sind sehr benachteiligt. Mit der staatlichen Unterstützung können geflüchtete Pensionisten in Transkarpatien keine Wohnung mieten. Die Mieten waren hier immer schon vergleichsweise hoch, seit Kriegsbeginn sind sie zusätzlich stark angestiegen. Wir sehen schon jetzt, dass in den Flüchtlingsunterkünften bald nur mehr alte Leute leben werden. Auch wenn der Krieg irgendwann zu Ende geht – diese Menschen werden es nicht mehr erleben, dass die zerstörten Wohnungen in ihrer Heimat wieder aufgebaut werden. Leider denkt hier niemand daran, was das längerfristig für unsere Region bedeutet und dass wir dringend passenden Wohnraum für Menschen mit eingeschränkter Mobilität schaffen müssen, auch Altersheime mit der entsprechenden Betreuung.
 
JK: Wie sieht es mit der Betreuung von kriegstraumatisierten Menschen aus?
 
NK: Zunächst lief das alles ziemlich chaotisch. 2022 sprachen plötzlich alle von psychologischer Betreuung. Verschiedene lokale Organisationen haben ziemlich viel Unterstützung von internationalen Geldgebern dafür bekommen. Das war sehr in Mode, aber die lokalen Organisationen waren eigentlich für diese Arbeit nicht qualifiziert. Wir haben daher Ende 2022 Online-Koordinationstreffen zwischen den verschiedenen Organisationen initiiert, sie finden nun alle zwei Wochen statt. Mehrere dieser Initiativen können zum Beispiel nur leicht traumatisierten Menschen helfen. Wenn sie sehen, dass ein Patient unter einer schweren psychotischen Störung leidet, übergeben sie ihn an eine spezialisierte Institution. Es hat fast ein Jahr gedauert, aber jetzt funktioniert diese Zusammenarbeit sehr gut.
Erst vor kurzem hat Zelensky die psychologischen Betreuung von kriegstraumatisierten Menschen durch staatlichen Institutionen verordnet. Zum Glück ist bei uns in der Oblastverwaltung eine Frau für die Umsetzung zuständig, die wir seit vielen Jahren kennen. Jetzt haben wir damit begonnen, auch die staatlichen Strukturen in unsere Koordination mit einzubinden, also auch in die Schulen. Der nächste Schritt wird die Einrichtung spezialisierter Kliniken sein, daran arbeiten wir jetzt. Und schliesslich müssen wir auch an die Psychiatrie denken, aber dafür muss ich mich von allen anderen Projekten freimachen, um in Ruhe darüber nachzudenken.

Foto unten: Das Team des CAMZ beim Verschicken von Hilfsgütern 

JK: In unserer Region ist es problematisch, dass die Einheimischen sich nicht in die Lage der geflüchteten Menschen versetzen können. Sie haben nicht dieselben traumatisierenden Erfahrungen gemacht und vielen fehlt es an Empathie. Wie geht ihr damit um?
 
NK: Ja, das stimmt natürlich, daher haben wir geflüchtete Menschen angestellt. Unsere beiden Flüchtlingsheime in Uzhhorod und in Tyachiv werden von Kriegsflüchtlingen geleitet, in Tyachiv zum Beispiel von einem Ehepaar aus Svatove in Luhansk. Der Chef unseres Lagers für Hilfslieferungen ist auch ein Flüchtling, aus Charkiw. Sie sprechen dieselbe Sprache, und haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie können sich auch sehr direkte Sachen sagen, ohne dass jemand gleich beleidigt ist. Denn die Beziehung der Einheimischen zu den geflüchteten Menschen ist wirklich ein Problem.
 
JK: Hast Du den Eindruck, dass diese Probleme sich mit der Zeit noch verschärfen?
 
NK: Ja, zu einem gewissen Grad. Besonders kritisch sehe ich die Haltung der internationalen Organisationen. Die Einheimischen fühlen sich benachteiligt, wenn Hilfe einseitig nur an geflüchtete Menschen geht, und manchmal hat man den Eindruck, dass es diesen eigentlich gar nicht so schlecht geht. Das muss unbedingt vermieden werden. Unsere Programme der Kinderbetreuung zum Beispiel sind offen für Alle, auch wenn die Geldgeber ursprünglich wollten, dass wir Geflüchtete bevorzugen. Damit helfen wir den geflüchteten Kindern auch, aus dem Ghetto auszubrechen in dem sie sich befinden. Schon vor dem Krieg waren wegen Covid die meisten von ihnen lange Zeit im Online-Unterricht. Dann mussten sie flüchten und besuchen weiter online ihre Schule, zum Beispiel eine virtuelle Schule von Bachmut. Nachdem sie den Sommer zusammen mit einheimischen Kindern verbracht haben, motiviert sie das vielleicht, hier in eine ganz normale Schule zu gehen. Das ist sehr wichtig, denn es wird immer offensichtlicher, dass viele Familien hier bleiben, die Kinder sollten sich ins lokale Leben integrieren.
 
JK: Wieviele geflüchtete Personen leben jetzt in Transkarpatien?
 
NK: Die offizielle Statistik sagt, es seien 350‘000. Es gibt Schätzungen, die weit höher liegen, aber das scheint mir unrealistisch. Vermutlich sind es an die 400‘000 Menschen. (Vor dem Krieg lebten in Transkarpatien ca. 1‘1Mio Menschen).
 
JK: Wo sind diese Menschen? In Chust und vor allem in den umliegenden Dörfern habe ich nicht den Eindruck, dass die Bevölkerung stark zugenommen hat.
 
NK: In Uzhhorod sind sie nicht zu übersehen. Überall wird Russisch gesprochen und die Strassen sind voller Menschen und Autos. In den Dörfern gibt es halt auch die entgegengesetzte Bewegung. Über 50 Prozent der wehrtauglichen Männer sind im Ausland und nun ziehen auch die Familien nach. Im Kinderheim in Vilshany haben wir seit dem vergangenen Jahr 25 Mitarbeiterinnen verloren, beinahe ein Viertel. Ihre Männer, die im Ausland sind, setzen sie unter Druck, auch wenn sie nicht weg wollen.

JK: Während 19 Monaten Krieg habt Ihr mit zahlreichen ausländischen Organisationen zusammengearbeitet. Wie empfindest Du die Partnerschaft, ist der bürokratische Aufwand sehr gross?
 
NK: Wir arbeiten mit kleinen und mittelgrossen Organisationen, die relativ flexibel auf unsere Bedürfnisse eingehen, vor allem in Deutschland und in Frankreich. So können wir häufig auch spontan auf dringende Bedürfnisse reagieren. Zum Beispiel hat mich vor kurzem Nataliya Gumenyuk* angerufen, sie hat mir von einer Initiative aus Cherson erzählt. Sie haben im Gebiet des zerstörten Stausees von Nova Kachovka in einem Kindergarten eine Suppenküche eingerichtet, für die Menschen, die alles verloren haben. Es sind wunderbare, sehr engagierte Leute, aber sie haben kein Geld. Dank unserer Partner können wir hier sehr spontan aushelfen.
Aber leider gibt es auch eine negative Tendenz. Vor allem die staatlichen Geldgeber unterstützen nur mehr die ganz grossen, internationalen Organisationen, die in der Ukraine arbeiten, wie IOM oder das Uno-Flüchtlingswerk UNHCR. Diese bürokratischen Monster bekommen alle Mittel und die kleinen, effizienten Initiativen gehen leer aus. Wenn wir die Botschaften kontaktieren erhalten wir die Antwort, dass alle Gelder bereits an diese grossen Organisationen vergeben wurden, zum Beispiel haben wir kürzlich vom Französischen Aussenministerium eine derartige Antwort erhalten. Im vergangenen Jahr hatten wir von ihnen noch eine dreimonatige Unterstützung erhalten.
Ich sehe diese Entwicklung sehr kritisch. Nach einer gewissen Zeit werden sich die grossen Organisationen zurückziehen, und dann bleibt nichts übrig. Dabei werden wir genau dann, wenn irgendwann der Krieg zu Ende geht, die lokalen NGOs dringend benötigen, um das Land wieder aufzubauen. Seit Kriegsbeginn haben sich viele lokale Initiativen gebildet. Diese sollten unterstützt werden, damit sie arbeiten und Erfahrungen sammeln können. Diese jungen Initiativen sind für die Ukraine von morgen extrem wichtig.
Meine wichtigster Ruf an die internationale Gemeinschaft und die internationalen Geldgeber ist, dass sie die Ukraine nicht mit einem Land der Dritten Welt verwechseln sollen. Hier gibt es schon lange eine sehr lebendige Zivilgesellschaft. Wenn wir diese nicht unterstützen, dann beeinträchtigen wir massiv die Fähigkeit der Ukraine, nach dem Krieg aus eigener Kraft wieder auf die Beine zu kommen. Wenn es diese Kapazität der Selbstorganisation zu Kriegsbeginn nicht gegeben hätte, dann wäre es bei der Ankunft der grossen ausländischen Organisationen im Mai 2022 schon zu spät gewesen.
* Nataliya Gumenyuk ist vermutlich die international am meisten profilierte Journalistin der Ukraine, sie hat auch schon mehrere Bücher auf Deutsch publiziert. Seit Beginn des Kriegs dokumentiert sie systematisch die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Link zu diesem Projekt (english)
 

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Jürgen Kräftner
Rundbrief 8.10.2023

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Die Schulferien sind auch in der Ukraine zu Ende und eigentlich sollte überall wieder ein geordnetes Leben den Tagesablauf bestimmen. Die Tagesabläufe vieler Kinder und ihrer Eltern in der Ukraine sind aber seit mehr als 18 Monaten von Bomben und Raketen, von Luftschutzalarm und Flucht bestimmt. Sicherheit, Bildung und vieles mehr erscheinen wie ein fast unerreichbar scheinender Luxus. Wir sind Allen überaus dankbar, die nicht wegsehen.

Veranstaltungshinweise
Die Hudaki Village Band kommt zum Abschluss einer intensiven Sommertournee nochmals in die Schweiz:
Fr 15.9. Sentitreff Luzern, 20.00
Sa 16.9. Sternenkeller Rüti ZH, 20.30
So 17.9. Kirche Gelterkinden BL, 18.00

Street-Ballads Ukraine in Zürich am 18., 25. und 28.9. Eine Performance auf Grundlage von Texten von neun ukrainischen Schriftsteller.innen. Sehr empfehlenswert!

Die Tournee des Kammerchores CANTUS vom 22.10 - 5.11. Der Tourneeplan und weiterführende Information sind hier zu finden. Bitte helfen Sie dem Team von NeSTU rund um CANTUS indem Sie den Flyer weiterleiten. Gedruckte Flyer hat unsere Präsidentin und Koordinatorin der Tournee Ursula Stamm: ursula.stamm@gmx.ch

Vom 28.10. - 28.11. in Basel: Ausstellung des Projekts "Vidkrytky", Das Versteck der Erinnerungen, im  Freiwerk Basel Elsässerstrasse 215. Ein Bericht über den Einsatz von Nastya Malkyna und Genia Koroletov in Kramatorsk ist hier zu finden (pdf). Es werden auch die Postkarten ukrainischer Flüchtlingskinder gezeigt, die jetzt in St. Imier NE leben. Die Betreuung dieser Kinder wird von NeSTU mitgetragen. Die Ausstellung wird Anlass für weitere Veranstaltungen und Begegnungen sein, mehr dazu im nächsten Rundbrief. Die Eröffnung findet am 28.10. um 18 Uhr statt, es wird dann auch das ganze Team aus der Ukraine dabei sein. Eine kleine Präsentation des Projekts am Ende dieses Rundbriefs.

Krieg - was wir tun
Weiter dreht sich auch in diesem Rundbrief alles um den Krieg in der Ukraine. Wir sind sehr dankbar für die grosszügigen Spenden, die wir nach dem Versand unseres Flyers im Juli erhalten haben. Wir konzentrieren unsere Kräfte auf die Betreuung von Kindern und Jugendlichen aus den Kriegsgebieten. Wir reagieren aber auch weiterhin unbürokratisch auf Hilfeaufrufe vertrauenswürdiger Partner: Base_UA konnte mit Hilfe von NeSTU im August eine Familie aus Bachmut in die Zentralukraine in ihr neues Zuhause umsiedeln.

Das fast drei Monate andauernde, von NeSTU finanzierte Sommerprogramm unserer Partnerorganisation Shaslyviy Dity (Glückliche Kinder) für geflüchtete Kinder in Uzhhorod ist zu Ende. Auf der Facebook-Seite der Organisation gibt es viele erfreuliche Fotos und Videos davon zu sehen.

Vom 23. September bis zum 5. Oktober kommen wieder 18 Teenager aus den ukrainischen Frontregionen für ein Art-Camp "Horytsvyt" ins Jugendgästehaus SargoRigo in Nyzhne Selyshche. Es ist ein gemeinsames Projekt mit den Leuten von Base_UA. Das Camp wird diesmal beinahe vollständig aus der Kasse von NeSTU finanziert, ein kleiner Beitrag stammt aus Spenden, die die Hudaki Village Band während ihrer Tournee gesammelt hat. Es ist sehr berührend und motivierend, die Rückmeldungen der Kinder und ihrer Eltern nach den Camps zu lesen. Ohne Übertreibung hilft der relativ kurze Aufenthalt in einer friedlichen, freundschaftlichen und aufmerksamen Umgebung den 12 - 15jährigen Jugendlichen ganz ungeheim. Diese Art-Camps wollen wir zumindest alle zwei Monate, nach Möglichkeiten auch im Monatsrythmus durchführen.

Verfasser dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, Longo mai und NeSTU, Nyzhne Selyshche, Ukraine
 

Diesen Flyer (bitte anklicken) haben wir schon in unserem letzten Rundbrief veröffentlicht. Herzlichen Dank für jede Unterstützung und für's Weiterleiten!


Eine neue Heimat für eine junge Familie aus Bachmut

Das sind Maryna, 24, Andrij, 28, und ihre Kinder Nikita, 5 und Maya, 2, vor ihrem neuen Haus in der Oblast Kyiv.
Ein Jahr vor der Katastrophe kauften sie ein Haus in Bachmut und zogen dort ein, zuvor hatten sie noch bei den Eltern gelebt. Im Mai 2022 schlug in der Nähe ihres Hauses eine russische Rakete ein. Maryna und Andrij hatten Angst um ihre Kinder und verliessen das Haus sofort, sie nahmen nur eine Tasche mit. Etwa einen Monat später erfuhren sie von ihren Eltern, dass auch ihr Haus von einer Rakete getroffen worden war. Später schlugen noch mehr Bomben ein und das Haus wurde bis auf die Grundmauern zerstört.
Die Eltern wollten ihr Haus nicht verlassen. Beim Eintreffen der russischen Armee wurden sie von Wagner-Einheiten verschleppt, ihr Verbleib ist ungewiss.
Der Umzug wurde von unseren Partnern von Base_UA organisiert. NeSTU hat den Hauskauf mit 5'000.- Franken kurzfristig ermöglicht. Unterhalb noch ein paar Fotos von der Familie und ein Bild von ihrem zerstörten Haus in Bachmut, nach dem ersten Einschlag.


Die russische Bevölkerung und der Krieg
Das Institut für Konfliktanalyse und -forschung in Russland (IKAR) ist ein unabhängiges Analysezentrum in Kyiv, das die wichtigsten Trends und Prozesse in der russischen Gesellschaft untersucht. Es mag überraschen, dass ein ukrainisches soziologisches Forschungsinstitut mitten im Krieg telefonisch Russen und Russinnen befragt. Andererseits, wer versteht dieses Volk besser als die Ukrainer? Fast alle Ukrainer.innen verstehen Russisch oder es ist sogar ihre Muttersprache, und während Jahrhunderten haben sie im selben Staat gelebt. Die befragten Personen wissen dabei nicht, dass der Anruf aus der Ukraine kommt.

Ich fand die Resultate einer vor kurzem von IKAR veröffentlichten Untersuchung so überraschend und interessant, dass ich sie Euch nicht vorenthalten möchte und hier kurz zusammenfasse:

Der Grossteil der Russen glaubt, dass sie den Krieg genauso überstehen werden, wie sie den Covid überstanden haben. Im Gegensatz zu den Einschätzungen vieler westlicher Experten befürwortet 74% der Befragten einen vollständigen Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet. Gleichzeitig fühlen sie sich nicht für den Terror verantwortlich, den die russische Armee in der Ukraine verübt hat und weiter verübt, und sie sind auch nicht der Meinung, dass Russland Reparationen zahlen sollte. Russland wäre nur für die besetzten Gebiete verantwortlich.
Ebenfalls 74% lehnen eine neue Zwangsrekrutierung von Soldaten ab. Diese wird besonders von der jungen Generation sehr gefürchtet.
Einerseits sagt die Mehrheit, dass die Kriegsziele nicht erreicht wurden. Andererseits sagen sie, dass sie den Sinn des Krieges nicht verstehen können, sie verstehen nicht, warum ihre Angehörigen sterben. Diffus meinen viele im Gespräch, der Krieg werde gegen ukrainische Nazis geführt, wobei die ukrainische Bevölkerung nichts damit zu tun habe. Eine Mehrheit ist der Meinung, dass Russland in der Ukraine in eine Falle der USA getappt sei.

Vor allem der Wunsch nach einem vollständigen Rückzug der russischen Verbände aus der Ukraine steht im Widerspruch zur häufig verbreiteten These, dass ein Rückzug der russischen Armee aus dem Donbas und von der Krim das Ende der Herrschaft Wladimir Putins bedeuten würde. Und ausserdem, wie zum Beispiel der Schweizer Spitzendiplomat Thomas Greminger kürzlich in der NZZ sagte, zu einem gefährlichen Revanchismus in der russischen Bevölkerung führen würde. Nein, was zählt, sind der Fernseher und der Kühlschrank.

Auf die Frage (zitiert aus einem populären Film aus dem Russland der 1990er Jahre), wer Recht habe, meinen mehr als 60%, dass der Stärkere immer Recht hat, Gesetze sind nebensächlich.

Ebenfalls erschreckend: Nur etwa 15% der Befragten sprachen sich kategorisch gegen eine weitere "militärische Sonderoperation" wie in der Ukraine aus, sei sie gegen Kasachstan, einen der baltischen Staaten, Georgien, Polen oder ein anderes Nachbarland. 
NB das Interview mit Thomas Greminger in der NZZ ist im  Text verlinkt, aber der Autor ist mit den Aussagen Gremingers durchaus nicht einverstanden. Ganz allgemein herrscht in der Ukraine die Meinung vor, dass sich die OSZE ohne Gegenwehr von Russland instrumentalisieren lassen hat.
 

Varenyky am Ukraine-Treff in Stans
Kari Grunder, Stans
Am 2. August haben wir am Ukraine-Treff in Stans bereits zum zweiten Mal gemeinsam Varenyky, die beliebten ukrainischen Teigtaschen, zubereitet. Während am Büchertisch Werke auf Ukrainisch und auf Deutsch studiert, ausgeliehen und zurückgegeben wurden, begannen uns aus der Küche anregende Düfte auf das gemeinsame Essen einzustimmen. Als «zweites Dessert» trugen Mykola und Ljubov von Mykola verfasste Gedichte vor (aus: Dschmil, Mykola: Kolo / Джмiль, Микола: Коло).
Auf dem Bild die literarisch-kulinarische Crew mit Arina, Maryna, Natalija, Béatrice, Kari, Mykola, Ljubov, Damir, Sergej (aufgenommen von Severin).
 

Das Versteck der Erinnerungen*
Ausstellung des Projekts "Vidkrytky"
Von Nailya Ibragimova, Nastya Malkina und Genia Koroletov

 
Wir möchten Sie zur Ausstellung des Projekts "Vidkrytky" einladen, das gemeinsam mit Kindern, die vom Krieg Russlands gegen die Ukraine betroffen sind, Postkarten gestaltet.
 
Die Postkarten sind den Lieblingsorten der Kinder in ihren Heimatstädten gewidmet, von denen die meisten aufgrund des Krieges nicht mehr zugänglich sind.
Das Ziel des Projekts ist es jedoch nicht, sich auf das zu konzentrieren, was verloren gegangen ist, sondern ein einzigartiges Archiv von Bildern friedlicher ukrainischer Städte zu schaffen, und einen Raum für Fantasie und Kreativität im Kontext eines militärischen Konflikts zu schaffen.
 
Bei der Konzeption der Ausstellung haben die Künstler und Initiatoren des Projekts versucht, ihre persönlichen Erinnerungen an ihre Kindheit in den Jahren 1900-2000 mit Kindergeschichten zu verbinden. Sie bieten allen Besuchern an, nicht nur die Bedrohung zu spüren, die von der Unachtsamkeit der Kinder ausgeht, sondern auch die universellen Werkzeuge, um sie zu schützen und ihr entgegenzuwirken.
Die Ausstellung bietet auch ausführliche Informationen über das Projekt, eine Sammlung von Kinderpostkarten mit der Möglichkeit, sie zu kaufen und das Projekt zu unterstützen, sowie die Möglichkeit, eine eigene Postkarte zu gestalten und sie an ukrainische Kinder zu schicken.
 
* Vidkrytky" ist ein Kunstwort, eine Mischung aus Ukrainisch und Russisch, das die Wörter "Öffnung" und "Postkarten" enthält.

Wann
Eröffnung der Ausstellung, 28. Oktober, 18 Uhr
Dauer, 28.10-28.11.2023
Öffnungszeiten
Mittwoch - Freitag: 14-20h
Samstag: 10-20h
Sonntag: 10-18 Uhr
 
Wo
Verein Freiwerk, Basel
https://freiwerk-basel.ch
Elsässerstrasse 215 | 4056
 
Kontakt
E-Mail: vidkrytky@immerda.ch

* mit den Namen Versteck der Erinnerungen wollen die Initiator.innen ein Bild hervorrufen: Die Lieblingsorte der malenden Kinder sind gefährdet, und damit auch die Erinnerungen. Sie brauchen Schutz und Geborgenheit und sie denken dabei bildlich an Asthütten und Verstecke im Wald oder im Park, die sich Kinder gemeinsam einrichten.
PS: Das Projekt umfasst einen Postkarten-Workshop mit Kindern aus der Ukraine, die jetzt in Saint Imier leben. Die künstlerischen Aktivitäten dieser Kinder werden seit mehreren Monaten von NeSTU unterstützt.
 


Maksym Butkevych
Von unserem langjährigen Freund, dem ukrainischen Menschenrechtsaktivisten haben wir schon öfters berichtet. Im März diesen Jahres wurde er in einer Justizfarce in Luhansk von einem russischen Gericht zu einer 13jährigen Haftstrafe verurteilt. Er habe Anfang Juni 2022 mit einem Minenwerfer auf ein Wohnhaus in Severodonetsk geschossen und zwei Frauen verletzt. Die Tatsache, dass er sich und seine Einheit zum angegebenen Zeitpunkt gar nicht in der Ostukraine befand sondern in der Nähe von Kyiv, spielte dabei keine Rolle. Der einzige Beweis war das gefilmte Geständnis Maksyms, offenbar unter Druck oder gar unter Folter entstanden. Am 22. August behandelte ein Berufungsgericht in Moskau den Einspruch seines Anwalts. Maksym war per Videoschaltung aus dem Gefängnis in Luhansk dabei.

Das Gericht änderte nichts am Urteil, was niemand weiter überraschte, bloss wurden ihm sieben Monate angerechnet, die zwischen dem Beginn der Strafuntersuchungen und dem Urteil vergangen waren.

Erfreulicher war, dass Maksym trotz der schlechten Haftbedingungen seinen Humor wieder gefunden hat und auch einen verhaltenen Optimismus ausstrahlte. Während das Gericht in einem Nebenzimmer tagte, konnten einige anwesende russische Menschenrechtler und sein Anwalt sich relativ ungestört mit Maksym unterhalten (dabei entstand das Foto oben). So erfuhr er, dass sein Name an der Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises zu vernehmen war und dass sich sehr viele Menschen für sein Schicksal interessieren. Im Gefängnis ist er völlig von der Aussenwelt abgeschnitten. Es gibt nur russisches Fernsehen. Auch Bücher und Papier gibt es nicht, Briefe und Pakete werden nicht ausgehändigt. Maksym gibt seinen Mitgefangenen Englischunterricht ohne jegliche Hilfsmittel, von sich selber berichtet er, dass er seine Französischkenntnisse aus dem Gedächtnis auffrischt.

Das Urteil des Berufungsgerichts war eine dringend erwartete Bedingung für einen eventuellen Gefangenenaustausch Maksyms. So verlieren wir die Hoffnung nicht, ihn bald in Freiheit zu sehen. Wir wissen aber auch, dass es tausende Kriegsgefangene gibt, und viele von ihnen schmachten mindestens so lange wie Maksym in den russischen Lagern. In den vergangenen Wochen gab es eher weniger Austausche als zuvor.

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Jürgen Kräftner
Rundbrief 23.07.2023

Link zum Rundbief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Seit 515 Tagen terrorisiert die russische Armee die Ukraine. Wir wollen es den vielen Ukrainern und Ukrainerinnen gleichtun, die sich auch von schlimmsten Schicksalsschlägen nicht entmutigen lassen: Unsere Kräfte sammeln, zu unseren langjährigen und neuen Verbündeten stehen und ihre wertvollen Initiativen unterstützen und begleiten. Gemeinsam haben wir langjährige Erfahrung in der Betreuung von Randgruppen in der Ukraine.

Kindern und Jugendlichen helfen, die Wunden des Krieges zu überwinden

  • In Koordination mit unseren Partnerinnen vom CAMZ in Uzhhorod unterstützen wir ein Sommerlager für 60 Flüchtlingskinder, das bereits im Juni begonnen hat.

  • Unser Jugendgästehaus in Nyzhne Selyshche hat im Juni ein erstes Art-Camp "Gorysvit" für Jugendliche aus den Kriegsgebieten empfangen, das nächste Camp ist für Anfang September geplant. Auf der Website von NeSTU finden Sie ein Interview über die Besonderheit dieser Art-Camps, die Fotos geben einen Eindruck von der tollen Stimmung.

  • Nastya Malkina und Genia Koroletov, zwei junge Kunstpädagogen aus Luhansk leben seit Kriegsbeginn in Nyzhne Selyshche. Sie arbeiten weiter mit Kindern und Jugendlichen in Kramatorsk, Lwiw und im Ausland und helfen ihnen, kreativ ihre Kriegstraumata zu verarbeiten. Hier ist der illustrierte Bericht von ihrer Reise nach Kramatorsk (Donetsk) vom vergangenen Juni.

  • In der Schweiz unterstützen wir eine Kreativwerkstatt für geflüchtete Kinder aus der Ukraine in St. Imier, initiiert von einer Flüchtlingsfrau aus der Ostukraine voller Tatendrang.

Andere Projekte gehen weiter:

  • In Stans NW stösst eine ukrainische Bibliothek mit Büchern für Kinder und Erwachsene auf reges Interesse. Geöffnet ist sie jeweils am Mittwoch von 8:30 bis 11:00 am Acherweg 86. Kontakt: Kari Grunder, 079 311 35 43

  • Der Kammerchor Cantus gibt vom 22.10. - 5.11. insgesamt 13 Konzerte in der Schweiz. Die Tournee findet unter dem Titel Klang des Himmels, Stimmen der Erde statt. Wir zweifeln nicht daran, dass die Stimmen des Chores himmlisch klingen werden.

  • Die Hudaki Village Band bereist derzeit den gesamten europäischen Kontinent, von Finnland nach Spanien, von Rumänien bis in die Bretagne. Im August und September kommt sie für einige Konzerte in der Schweiz:

Di 15.8. (Himmelfahrt) in der Kirche Hildisrieden LU, 20:00

Fr 15.9. Sentitreff Luzern, 20:00

Sa 16.9. Sternenkeller Rüti ZH, 20:30

So 17.9. Kirche Gelterkinden BL 17:00

  • Eine Buchempfehlung: Wie der Krieg uns verändert. Von Olha Volynska, erscheint im September 2023 im Klingenberg Verlag, Wien.

  • Eine Videoempfehlung: Ein Bericht aus der Frontstadt Sviatohirsk in der Oblast Donetsk, die 2022 vorübergehend von der russischen Armee besetzt war. Kürzlich haben Freiwillige von Base_UA hier ein Jugendlager organisiert, hier ist der Videobericht mit englischen Untertiteln.

Redaktion dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, Nyzhne Selyshche, Ukraine

Dies ist unser neuer Infoflyer mit dem aktuellen Spendenaufruf, Gestaltung von Nastya Malkina und Genia Koroletov. Um Spenden effizient und nachhaltig einzusetzen, unterstützt NeSTU jetzt prioritär die Rehabilitierung von Kindern und Jugendlichen aus den ukrainischen Kriegsgebieten. Bitte helfen Sie uns, kriegsgezeichneten jungen Menschen wieder Hoffnung und Mut mitzugeben. Herzlichen Dank! Die Geschäftsstelle von NeSTU schickt Ihnen auf Wunsch gedruckte Flyer.
Spendenkonto NeSTU:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2


Die physische Vernichtung einer Generation der Ukraine
Wenn ich mich nicht irre, ist es die ukrainische, in Wien lebende Schriftstellerin Tanja Maljartschuk die sich kürzlich etwa so geäussert hat: Die westliche Öffentlichkeit lernt beim Verfolgen der Nekrologen aus der Ukraine seit Februar 2022 mehr über die zeitgenössische ukrainische Literatur, als sie während drei Jahrzehnten der ukrainischen Unabhängigkeit von ihr mitbekommen hatte. Anfang dieses Monats hat uns und viele andere der Tod der jungen Schriftstellerin Victoria Amelina erschüttert. Wir kannten sie nicht persönlich, aber wir hatten viele gemeinsame Freunde. Ihre Initiative, ein Literaturfestival in einem Dorf im Donbas (mit dem witzigen Namen "New York") ins Leben zu rufen, machte uns klar, dass wir eine Verbündete verloren hatten, bevor wir uns überhaupt kennengelernt hatten. Victoria hinterlässt einen zehnjährigen Sohn.
Daher haben wir uns die Zeit genommen, einen ihrer letzten Texte, der Anfang des Monats im Guardian erschienen ist, auf Deutsch übersetzen, hier ist er als PDF zu finden. Es lohnt sich, diesen tiefgründigen Essai zu lesen, wenn man diese Generation weltoffener Ukrainer und Ukrainerinnen besser verstehen will.

Victoria Amelina war 37 Jahre alt und war eine überaus engagierte und mutige Person. Einige ihrer Texte wurden bereits auf Deutsch veröffentlicht, siehe Wikipedia.
Nach Kramatorsk war sie gereist, weil sie zwei kolumbianischen Schriftstellern die Realität der frontnahen Gebiete vermitteln wollte. Die südamerikanische Meinungsmacher tun sich ja nach wie vor schwer damit, zu akzeptieren, dass nicht alles Böse auf der Welt aus den USA stammt. 
Als sie es sich in einem der wenigen geöffneten Lokale, einer Pizzeria im Stadtzentrum gemütlich gemacht hatten, wurde diese von einer russischen Iskander-Rakete getroffen. Bei den anderen Toten (insgesamt 12) handelte es sich hauptsächlich um junge Angestellte der Bar und zwei 14-jährige Zwillingsmädchen, die ihre Mutter für zwei Tage besucht hatten. Hector Abad, einer der Schriftsteller, die mit Victoria gemeinsam in Kramatorsk waren, beschrieb in einem kurzen Essay die tödliche Absurdität dieses Aktes. Hier ist er (PDF).

Maksym Butkevych,
ukrainischer Menschenrechtsaktivist und unser langjähriger Freund, hat am 16. Juli zum zweiten Mal in Folge seinen Geburtstag in russischer Gefangenschaft verbracht. Die ukrainische Künstlerin Alevtina Kakhidze hat ihm an diesem Tag diese Zeichnung gewidmet, sie schreibt: "Russen, gebt meinen Freund Max Butkevych zurück, ich bitte euch in allen Sprachen».
Das Online-Medium UkraineWorld veröffentlichte auf Twitter eine kurze Video über Maksym.
 


Gorysvit - kreative Jugendlager für Teenager aus den ukrainischen Kriegsgebieten
Das Interview mit Nastya Malkina und Genia Koroletov nach dem ersten Lager im Juni gibt einen guten Eindruck von der Arbeit der Leute von Base_UA. Wir haben uns wunderbar mit den Betreuer.innen verstanden und hoffen, dass wir bald gemeinsam weitere Camps durchführen können. Der Bedarf und die Nachfrage sind riesig. NeSTU unterstützt diese Initiative: Wir decken die Kosten von Unterkunft, Verpflegung und die Anreise der Teilnehmer.innen. Die Kinder werden von den Eltern gebracht und abgeholt. Der Rest der Kosten, vor allem die Honorare für das Betreuerinnenteam wird von Base_UA gedeckt. Für Anfang September planen wir gemeinsam das nächste Camp.
Die Fotos unten stammen von einer der Betreuerinnen, Mariya Surzhenko, eine junge Lehrerin aus Lwiw. 


Kammerchor Cantus - Konzerttournee im Herbst 2023
Weltliche Lieder und geistliche Klänge aus einem versehrten Land, unter diesem Titel stehen die diesjährigen Konzerte von Cantus in der Schweiz. Am 29. Juni hat CANTUS seine 31. Konzertsaison abgeschlossen, im Konzert wurden einige für die 13. Schweizer Konzerttournee (22. Oktober - 5. November 2023) vorgesehene Werke aufgeführt. Im Tourneeprogramm «Klang des Himmels, Stimmen der Erde» verbindet sich Trauer über die Schrecken des Krieges mit der Hoffnung auf Frieden und neues Leben. Geistliche Musik und weltliche Kompositionen aus der Ukraine werden zu einem Reigen von bewegender Stimmkultur verknüpft. Auf dem Flyer (das Bild unten anklicken) finden Sie alle Konzertorte und -daten, wir freuen uns auf Ihren Besuch! .

Vom 20. - 22. Oktober findet der bereits traditionelle Gesangsworkshop mit Emil Sokach und dem gesamten Chor in Melchtal, OW statt. Es gibt noch wenige freie Plätze!
Hier sind die Ausschreibung und das Anmeldeformular.

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Jürgen Kräftner
Rundbrief 22.05.2023

Link zum Rundbrief

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

15 Monate Krieg in der Ukraine und kein Ende in Sicht

Wir haben uns eine Weile lang nicht gemeldet. Der Frühling ist voll da. Ich vermeide es, andauernd an die Situation an der Front zu denken und habe den Eindruck, dass das viele Menschen so tun, selbst diejenigen, deren Angehörige im Krieg sind. Immer wieder trifft man auf die Begräbniskonvois der gefallenen Soldaten, auch in Transkarpatien. In Filmberichten sieht man die Männer, die seit Monaten im Gebiet Bachmut und weiter südlich bei Donetsk dem täglichen Horror ausgesetzt sind. Ihre Augen sind müde, manchmal sieht man ihnen das tiefe Trauma an, das sie erlitten haben - und so warten sie sehnsüchtig auf die Ablösung, wann kommt die denn endlich?
Freunde aus Kyiv haben von den kolossalen Raketenangriffen berichtet, die in den vergangenen zwei Wochen über die Stadt hereingebrochen sind. Anders als noch im vergangenen Jahr fühlen sich die meisten Menschen dank der neuen, westlichen Raketenabwehr nun sicher. Sie stehen am Balkon und bejubeln die Abschüsse der russischen Raketen und Drohnen, fast wie ein Feuerwerk. Leider sind längst nicht alle Städte so gut geschützt und weiterhin sterben Zivilisten. In der westukrainischen Stadt Ternopil wurde ein Lager des Schweizer Hilfswerks Licht im Osten getroffen, während das von dort abstammende Popduo Tvorchy am Songcontest in Liverpool auftrat. Ja, absurd.

In diesem Rundbrief gibt es wieder eine ganze Reihe von Ankündigungen. Darüber hinaus liefern wir Euch etwas Hintergrundinformation: Der Kampf um eine freie und lebenswerte Ukraine geht sowohl an der Front als auch weit entfernt von ihr weiter. Ukrainische Blogger sagen halb scherzhaft, dass sie gegen Korruptionsbekämpfung in Russland sind, da die dortige Korruption einen grossen Anteil an der Schwäche der russischen Armee hat. Aber wie sieht es in der Ukraine aus?
Verfasser dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, NeSTU und Longo mai, Ukraine


NeSTU widmet sich ab sofort prioritär der Jugendarbeit
Nach dem Schock der ersten Kriegsmonate und der damit verbundenen riesigen Solidarität aus unserem Freundeskreis hat der Vereinsvorstand von NeSTU dieses Jahr beschlossen, unsere Kräfte und Mittel für die kommenden Monate gezielter einzusetzen.
Es gibt kaum Jugendliche in der Ukraine, die nicht in irgendeiner Form Kriegstraumata erlitten haben. Unser Netzwerk in der Ukraine hat langjährige Erfahrung in der Betreuung von Jugendlichen, auch aus dem Kriegsgebiet. Dieser Krieg hat ja bereits 2014 begonnen. Das CAMZ in Uzhhorod hat viel Erfahrung und kennt zahlreiche Fachleute in der Behandlung von psychischen Traumata. Und wir haben in Nischnje Selischtsche mit dem Jugendgästehaus Sargorigo eine wunderbare Infrastruktur in einem friedlichen Gebiet, das sich ideal für Jugendlager anbietet. Am Mittwoch, 24. Mai beginnt hier ein erstes, gemeinsam von den Freiwilligen von Base_UA und den Einheimischen von Molotok und Longo mai organisiertes "Art-Camp", das 25 Jugendlichen, die vom Krieg direkt betroffen waren, viele positive Emotionen und Erfahrungen bieten wird.
In unserem nächsten Rundbrief werden wir Eindrücke von diesem Jugendlager liefen.
Bereits jetzt unterstützt NeSTU die Initiative "Glückliche Kinder" in Uzhhorod. 40 Kindern im Volksschulalter wird während den drei Sommermonaten geholfen, den versäumten Schulunterricht nachzuholen und ihre kreative Entwicklung zu fördern. Gleichzeitig wird die Sozialisierung und Integration dieser Binnenflüchtlingskinder an ihrem neuen Wohnort gefördert.

Daher wieder unser Aufruf:
Ohne Eure Unterstützung können wir nicht helfen. Herzlichen Dank Allen, die uns finanziell unterstützen! Die Kontonummer von NeSTU ist am Ende des Rundbriefs zu finden. Die verfügbaren Mittel werden in erster Linie für Jugendprojekte in der Ukraine eingesetzt, sowie für dringende und unbürokratische Hilfe wie zum Beispiel kürzlich bei der Umsiedlung von drei Familien aus Siversk (bei Bachmut), insgesamt 14 Personen, davon 6 Kinder und einem behinderter Mann, in Region von Uman in der Zentralukraine.

Hudaki Village Band, Konzerte in der Schweiz und freie Daten
Unsere Dorfmusikanten und -musikantinnen kommen im August und im September in die Schweiz und sind auch noch zu buchen:
Di 15. August Kirche Hildisrieden LU
die Tage danach sind noch frei

Sa 16. September Sternenkeller Rüti ZH
So 17. September Kirche Gelterkinden BL
Die Tage davor und eventuell danach sind ebenfalls frei.

Im April hat das Ukrainische Fernsehen einen Dokumentarfilm über Hudaki veröffentlicht, hier mit englischen Untertiteln zu sehen.
Weitere Daten und Infos unter www.hudakivillageband.com

Jürgen Kräftner
Rundbrief 16.04.2023

Link zum Rundrief

Христос воскрес
Heute wird in der Ukraine Ostern gefeiert. Das zweite Mal ist dieses grösste Fest der orthodoxen Christen von den Grauen des Krieges überschattet. Im vergangenen Jahr hatten wir den Text von Maksym Butkevych Ostern und Kalaschnikow veröffentlicht, hier ist der Link. Zwei Monate später geriet er in russische Kriegsgefangenschaft.

Kürzlich konnte endlich ein russischer Anwalt Maksym besuchen und hat den Eltern einen Brief übermittelt. Darin schriebt Maksym, dass er nach seiner absurden Verurteilung in ein normales Gefängnis verlegt wurde und dass dort die Nahrung besser sei. Er ist offenbar bei gutem Mut und spricht auch den Angehörigen und Freunden Mut zu. Er bedankt sich bei Allen, die sich für seine Freilassung einsetzen und schreibt, wir sollten dazu sehen "uns nicht zu verlieren" und weiterhin gut zusammenzuhalten.
Ein gutes Motto für diesen Ostersonntag.

NeSTU unterstützt weiterhin lokale Initiativen in der Ostukraine, wie die Angels of Salvation. Kürzlich haben wir eine Nachricht von Dmytro Mishenyn erhalten. Er hat uns wieder eine Video von den Hilfseinsätzen der Freiwilligen geschickt und erklärt, warum unsere Unterstützung für die Angels so besonders wertvoll ist. Seine Organisation wird von mehreren internationalen Hilfswerken unterstützt, häufig auch mit umfangreichen Materialspenden. Aber niemand will zum Beispiel den Unterhalt der Fahrzeuge finanzieren. Diese sind enormen Ansprüchen ausgesetzt und müssen häufig repariert werden. Zuletzt haben sie mit unserer Unterstützung auch eine Lagerhalle eingerichtet, was ihnen die Arbeit sehr erleichtert und Zeit und Geld einspart. NeSTU überweist die Summen von jeweils 10'000€ nach Dnipro und überlässt den Angels die freie Wahl, denn sie wissen selber, was sie gerade am dringendsten benötigen. Nach einigen Wochen erhalten wir jeweils eine detaillierte Abrechnung.
Herzlichen Dank Allen, die uns finanziell unterstützen! Die Kontonummer von NeSTU ist am Ende des Rundbriefs zu finden. Alle Spenden kommen der Nothilfe in der Ukraine zugute.
 

Gespräche und Lesungen mit Serhij Zhadan in der Schweiz
Serhij Zhadan ist einer der bekanntesten und aktivsten Schriftsteller - und Rockmusiker - der Ukraine. Er stammt aus Luhansk und lebt seit Jahren in Charkiw. Auch während des Kriegs tritt er sowohl in der Ukraine als auch im Ausland auf und sammelt gleichzeitig zur Unterstützung der Territorialverteidung. In den kommenden Tagen kommt er in die Schweiz, wir empfehlen die Veranstaltungen sehr: 

18.4. Literaturhaus Basel 19.00
19.4. Schauspielhaus Zürich 19.30
20.4. Lukaskirche Luzern 19.00
21.4. Aargauer Literaturhaus Lenzburg 19.15


Cherson im Winter, Fotos von Oleksandr Glyadyelov
Unser Freund Oleksandr Glyadyelov war im Winter im kurz zuvor befreiten Gebiet Cherson, am rechten Ufer des Dnipro. Seinen eindrücklichen Fotobericht haben wir hier exklusiv aufgeschaltet.

Unterstützung für die Schneiderinnen in Chust
Unsere Jahresversammlung vom 25. März in Luzern war in vieler Hinsicht ein sehr gelungener Anlass. Spontan haben sich die zahlreichen Anwesenden auch an einer Sammelaktion zugunsten eines Schneiderateliers in Chust beteiligt. Dort schneidern ein gutes Dutzend Freiwillige, Einheimische und vor allem geflüchtete Menschen aus der Ostukraine verschiedene nützliche Dinge für die Territorialverteidigung und für Notleidende im Frontgebiet: Warme Unterwäsche, Schlafsäcke etc. Zum Schneiden von kilometerlangen Stoffbahnen benötigten sie dringend einen halbautomatischen Schneidetisch. Dank unserer Hilfe konnte dieser bereits in Betrieb genommen werden, hier ist die kleine Video. Lesja, unsere Kollegin, ist begeistert, herzlichen Dank allen Beteiligten!
 


Herzliche Begegnungen mit Geflüchteten aus der Ukraine und Freunden in der Schweiz
Die fünf Konzerte der Hudaki Village Band, Ende März in der Schweiz waren diesmal hochemotionale Erlebnisse, wie die Fotos unten, aus der Schützi in Olten bezeugen.
Besonderer Dank gebührt dem Oltener Ukraine-Komitee, koordiniert von Beate Hasspacher und Ruedi Iseli, und dem Fotografen André Albrecht! Aber auch an weiteren Anlässen, wie zum Beispiel im randvollen Haberhaus in Schaffhausen haben unsere Freunde beste Arbeit geleistet, auch ihnen - Vielen Dank!

Kontakt zu NeSTU:
Salome Stalder - Martin, Dipl Forst-Ing. ETH, Mürgstrasse 6,
6370 Stans

E-Mail: info(at)nestu.org. Natel: 078 770 23 43

Spendenkonto NeSTU:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
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Jürgen Kräftner
Rundbrief 13.03.2023

Link um Rundbrief

Russische Justizwillkür gegen den ukrainischen Menschenrechtsaktivisten und Freund von NeSTU Maksym Butkevych

Konzerte und Ukraineanlässe in Bern, Aeugstertal, Schaffhausen und Olten Ende März und Anfang April 2023

Jahresversammlung von NeSTU in Luzern am 25. März 2023

Ort:
Paulusheim in Luzern, Moosmattstrasse 4

Zeit:
13.30 Kuchen und Kaffee
14.30 Mitgliederversammlung
16.00 Apéro offeriert von NeSTU
17.00 Podiumsgespräch und Kurzfilme
19.00 fakultativ gemeinsames Abendessen (Anmeldung bis zum 16.3.)
 
Das Programm der Jahresversammlung ist hier im Detail zu finden.
Anmeldungen bei unserer Geschäftsstelle
 
Bei der Gelegenheit dürfen wir darauf hinweisen, dass unsere Website ein kleines Facelifting erhalten hat, wir arbeiten weiter daran. Neu ist ein Archiv unserer Rundbriefe ab 2021.
 

Ukraine-Anlässe mit der Hudaki Village Band
Die Dorfmusikant.innen kommen für vier Konzerte in die Schweiz:
Di 28.3. Mahogany Hall Bern, 20.00 Tickets und Flyer
Do 30.3. Pöschtli Aeugstertal ZH, 20.30 Reservation 044 761 61 38
So 2.4. Haberhaus Schaffhausen, 17.00 Familienkonzert, Eintritt frei, Kollekte. Flyer. Link Haberhaus
Mo 3.4. Kulturzentrum Schützi, Olten, 19.30 Flyer und Information
organisiert von der Freiwilligengruppe für Geflüchtete aus der Ukraine in der Region Olten. Kontakt: ri@hasspacher-iseli.ch

Wir bitten Euch sehr, uns mit Mundpropaganda zu unterstützen und Eure Freunde und Bekannten auf diese Anlässe aufmerksam zu machen. Natürlich freuen wir uns auch auf geflüchtete Personen aus der Ukraine.

Unsere Freunde von Base_UA haben mit der finanziellen Unterstützung von NeSTU zwei grossen Familien aus Siversk (Gebiet Donetsk nahe Bachmut) zu einer neuen Heimat südlich von Uman verholfen. Wir hatten davon berichtet. Diese kurze Video zeigt nun eindrücklich, worum es geht.
Wir freuen uns, dass wir mit Eurer Hilfe so gute Arbeit unterstützen können. In der vergangenen Woche konnten wir auch den Angels of Salvation in Dnipro wieder 10'000 CHF überweisen.
Damit verbunden, wie immer - der Krieg geht weiter und die Bedürfnisse werden nicht geringer - unser Spendenkonto:
Raiffeisenbank Nidwalden, 6370 Stans
IBAN: CH69 8080 8008 0940 4940 2
BIC: RAIFCH22XXX

NeSTU Netzwerk Schweiz-Transkarpatien/ Ukraine
Mürgstrasse 6
6370 Stans
HERZLICHEN DANK!

Maksym  Butkevych soll für 13 Jahre ins Straflager
In unseren vergangenen Rundbriefen haben wir mehrmals über unseren langjährigen Freund berichtet. Maksym hat vor einigen Jahren auch in der Schweiz an von NeSTU organisierten Anlässen teilgenommen und ist einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten der Ukraine. Seit dem 24. Juni 2022 befindet er sich in russischer Kriegsgefangenschaft. Am 10. März wurde in russischen Medien berichtet, dass er vom Obersten Gericht der sogenannten Luhansker Volksrepublik zu 13 Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt wurde, für einen aus freien Stücken erfundenen Tatbestand. Es gibt zahlreiche Beweise dafür, dass er während der ihm angelasteten Straftaten in der Umgebung von Kyiv und nicht im Gebiet Luhansk war, wie die Anklage es behauptet. In den russischen Medien ist Maksym vor dem Untersuchungsrichter zu sehen, auch eine Video wurde veröffentlicht. Er ist stark abgemagert und sieht müde aus, wir müssen davon ausgehen, dass er gefoltert wurde, um ihn zu dem absurden Geständnis zu zwingen. Trotzdem freuen sich die Angehörigen und der grosse Freundeskreis darüber, dass er überhaupt am Leben ist und verlieren nicht die Hoffnung auf eine baldige Freilassung.

Hier ist eine Petition Ukrainischer Menschenrechtsaktivisten. Sie wird in den kommenden Tagen zum Unterzeichnen freigegeben.
 

Menschenrechtsorganisationen und -aktivisten fordern die Freilassung des ukrainischen Kriegsgefangenen Maksym Butkevych, der von den russischen Besatzern unrechtmäßig verurteilt wurde

Am 10. März 2023 gab der Ermittlungskomitee der Russischen Föderation bekannt, dass der ukrainische Menschenrechtsverteidiger und Armeeangehörige Maksym Butkevych, der im vergangenen Sommer bei Kämpfen in der Region Luhansk von den Russen gefangen genommen worden war, aufgrund völlig erfundener Tatsachen zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde. Mit ihm wurden zwei weitere ukrainische Gefangene - Viktor Pokhozey und Vladyslav Shel - zu 8,5 bzw. 18,5 Jahren verurteilt.
Maksym Butkevych ist ein ukrainischer Menschenrechtsaktivist und Journalist. Er ist Mitbegründer des Projekts "Bez Kordoniv" (Ohne Grenzen), das Asylsuchenden und Migranten in der Ukraine hilft und Hassrede bekämpft. Außerdem ist er Mitbegründer des Menschenrechtszentrums ZMINA, des Hromadske Radio und hat als Journalist für eine Reihe von ukrainischen und internationalen Medien gearbeitet. Im März 2022 trat er den ukrainischen Streitkräften bei. Im Juni wurde er in der Nähe der derzeit besetzten Orte Solote und Hirske (Region Luhansk) gefangengenommen.

Gemäß der Veröffentlichung des Untersuchungsausschusses der Russischen Föderation befand das sogenannte "Oberste Gericht der Volksrepublik Luhansk“ Maksym Butkevych der Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung, der Anwendung von in einem bewaffneten Konflikt verbotenen Methoden, des versuchten Mordes sowie der vorsätzlichen Beschädigung fremden Eigentums für schuldig: Er soll am 4. Juni 2022 den Eingang eines Wohngebäudes in Sjewjerodonezk in der Region Luhansk mit einem Granatwerfer beschossen haben. In diesem eindeutig konstruierten Fall gibt es derzeit keine Beweise, abgesehen von einem inszenierten und gefilmten "Geständnis" des Gefangenen. Darüber hinaus wurde die Einheit Berlingo, der Maksym Butkevych angehört, unseren Informationen zufolge zu keinem Zeitpunkt im Gebiet von Sjewjerodonezk eingesetzt und war an den dortigen Kampfhandlungen nicht beteiligt.
Es ist anzumerken, dass vor diesem Urteilsspruch keinerlei Informationen über die Vorwürfe gegen den Kriegsgefangenen Maksym Butkevych veröffentlicht wurden, wodurch weder ein Anwalt beauftragt werden konnte noch ein faires Verfahren möglich war.
Da die Russische Föderation unabhängigen Beobachtern den Zugang zu den von ihr geschaffenen Haftorten in den besetzten Gebieten verwehrt, war eine Kontrolle seiner Haftbedingungen oder nähere Angaben zu seiner Behandlung durch internationale Organisationen nicht möglich.
Zugleich veröffentlichten einige russische Propagandamedien offensichtlich falsche Informationen über Maksym Butkevych und unterstellten dem Menschenrechtsverteidiger Aussagen, die er nie gemacht hatte, und Behauptungen, die seiner Meinung widersprechen.
All dies zeugt von der bewussten Konstruktion des Falles durch die Russen, wahrscheinlich um den Streitkräften der ukrainischen Armee den Ruf von Kriegsverbrechern zu verleihen.
Wir verurteilen Russlands Einsatz von Kriegsgefangenen zu Propagandazwecken und fordern, dass die rechtswidrige Strafverfolgung von Maksym Butkevych eingestellt wird und er sowie andere ukrainische Kriegsgefangene ausgetauscht werden.
Wir fordern, dass die Russische Föderation es internationalen Beobachtern ermöglicht, Kriegsgefangene und zivile Geiseln zu besuchen, um ihre Haftbedingungen zu überwachen und Misshandlungen und andere Verletzungen ihrer Rechte zu verhindern.
Wir fordern den Präsidenten der Ukraine, das Außenministerium der Ukraine und den Menschenrechtskommissar der Werchowna Rada der Ukraine auf, weiterhin Druck auf die Russische Föderation auszuüben, um die sofortige Freilassung aller Bürger zu erwirken, die vom Besatzungsregime unrechtmäßig in Haft gehalten werden.
Wir rufen die internationale Gemeinschaft auf, den Sanktionsdruck auf Russland wegen seiner Missachtung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechtsgesetze zu erhöhen.

Als versöhnlicher Abschluss, hier unten ein Foto von der Solidaritätsdemo für die Ukraine am 24. Februar in Zürich, von Diana Hrytsyshyna, NeSTU.

Redaktor dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner, NeSTU Ukraine

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NeSTU
5. Februar 2023

Link zum Rundbrief vom 5.2.2023

Liebe Freundinnen und Freunde von NeSTU

Dies ist unser erster Rundbrief in diesem Jahr und es gibt schon viel zu berichten.

Aktuelles von Projekten und Initiativen, die NeSTU massgeblich unterstützt:

  • Base_UA konnte zwei Wohnhäuser in Man'kivka im Gebiet Vinnytsia kaufen und hat dort Flüchtlingsfamilien von der Front im Donbas angesiedelt.

  • Das Comité d'Aide Médicale Zakarpattya CAMZ hat in Tyachiv (Transkarpatien) eine  Flüchtlingsunterkunft für 80 Personen eingerichtet.

  • Die jungen Künstler Nastya Malkyna und Genia Koroletov (aus Luhansk, sie leben seit Kriegsbeginn in Nyzhne Selyshche) waren wieder in Kramatorsk, Donezk und haben dort ein längerfristiges Projekt "Postkarten aus Kramatorsk" zur künstlerischen Betreuung von Jugendlichen begonnen.

  • Der Verein Molotok in Nyzhne Selyshche unterstützt einen Biathlonclub in Chust, und bittet um gebrauchte Ausrüstung für Kinder und Jugendliche aus der Schweiz.


Aktuell in der Schweiz:
Unsere Jahresversammlung findet am Samstag, 25. März im Paulusheim, Moosmattstrasse 4, Luzern statt:
13.30 Eintreffen zu Café und Kuchen
14.30 Statutarische Generalversammlung
16.00 Apéro, offeriert von NeSTU
17.00 Podiumsgespräch mit Lesja Levko, Diana Hrytsyshenko und Jürgen Kräftner über die Arbeit unseres Netzwerks während des Krieges. Ausserdem werden wir zwei kurze Dokumentarfilme mit deutschen Untertiteln zeigen.
19.00 gemeinsames Abendessen auf Wunsch und mit Reservation bei der Geschäftsstelle

Wichtig: Es ist durchaus nicht nötig, Vereinsmitglied zu sein, um an diesem Treffen dabei zu sein. Anmeldung und Information bei unserer Geschäftsstelle

Am 3. März lädt NeSTU gemeinsam mit dem Literaturhaus Zentralschweiz in Stans zu einer zweisprachige Lesung mit Eugenia Senik hier ist der Flyer. Ласкаво просимо! Herzlich Willkommen!

Die Hudaki Village Band kommt in die Schweiz bzw. ins Dreiecksland:
Fr 24.2. Altes Rathaus Weil am Rhein D, 19.00 Tickets
Sa 25.2. Kulturausschuss Gerlafingen, 20.15 Tickets (beinahe ausverkauft)
So 26.2. Atelier Hinterrüti, Horgen, 18.45 Tickets (mit Abendessen ab 17 Uhr)
Weitere Auftritte unter www.hudakivillageband.com

Zu Beginn ein Stimmungsbericht aus der Ukraine mit einer Einschätzung zu den Korruptionsfällen, die neulich an die internationale Öffentlichkeit gelangten und dem langen und steinigen Weg der Ukraine zu einem Rechtsstaat.
Redaktion dieses Rundbriefs: Jürgen Kräftner

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